Kreisverkehr

„Ich bin draufgekommen, dass es in meinem Leben Sachen gibt, die wichtiger sind, als mit dem Auto im Kreis zu fahren.“ Mit diesem in die Sportgeschichte Österreichs eingegangenen Sager beendete Niki Lauda am 28 September 1979 in Montreal seine Karriere als Formel 1-Pilot.

(Dass er zwei Jahre später wieder im Cockpit saß, tut hier nichts zur Sache.)

Seit heute Vormittag, 9:33 Uhr, blickt die ganze Welt Richtung Genf. Im CERN, einem physikalischen Grundlagenforschungszentrum, wurde ein Protonenstrahl auf die Reise geschickt: Auf eine „Fahrt“ durch einen 27 km langen, kreisförmigen Tunnel.

Der Teilchenbeschleuniger, wie das technische Monstrum auf Deutsch heißt, soll – nebst ein paar anderen wichtigen – diejenige Frage klären, ob das so genannte Higgs-Boson, ein bisher in seiner Existenz bloß postuliertes Elementarteilchen, tatsächlich existiert. Das Standardmodell der Elementarteilchenphysik benötigt das „Higgs“, um den übrigen Teilchen Masse zu verleihen.

Und wozu brauchen wir das? fragen Zweifler an der Sinnhaftigkeit des enormen, nicht zuletzt finanziellen Aufwandes für die Suche nach einem, falls denn überhaupt vorhandenen, klitzekleinen Teilchen. Wäre das Geld nicht besser eingesetzt, wenn damit der Hunger in der Welt verringert, die medizinische Versorgung der Bewohner armer Länder ausgeweitet oder zumindest ihre Ausbildungsmöglichkeiten verbessert würden?

Abgesehen von der nicht gerade unbedeutenden Tatsache, dass ein nicht gefundenes Higgs-Boson das aktuelle physikalische Weltbild zum Einsturz und Physiker aller Herren Länder dazu bringen würde, Haare raufend nach einem neuen Modell zu suchen, wäre der unmittelbare Nutzen für Otto Normalverbraucher auf den ersten Blick wirklich nicht ersichtlich.

Aber so ist das nun einmal mit der Wissenschaft: Die meisten von uns, die wir vielleicht (noch) nicht verstehen, worum es bei solch anspruchsvollen Experimenten überhaupt geht, werden früher oder später von ihren Ergebnissen und den daraus abgeleiteten Anwendungen profitieren. Das zumindest zeigt die bisherige Wissenschafts- und Technikgeschichte der Menschheit – trotz aller Negativa, die der Fortschritt mit sich gebracht hat und wohl auch in Zukunft mit sich bringen wird.

„Kein Nutzen ohne Schaden“ lautet das entsprechende Credo all jener, die das Glas des menschlichen Wissens und Könnens lieber halb voll sehen möchten als halb leer.

Dass die geplante Kollision der Elementarteilchen auch Licht in den „Ursprung des Universums“ bringen könnte, ist ungleich spannender und sollte auch von Nicht-Physikern in ihrer Bedeutung für das Selbstverständnis der Menschheit nicht unterschätzt werden.

Es gibt also tatsächlich „Fahrten im Kreis“, die ziemlich wichtig sind.