Freie Sicht aufs Gesicht?

Nun gibt es also mit Belgien das erste Land in der EU, in dem ein „Burkaverbot“ erlassen wurde.

Stellt sich zunächst einmal Frage, warum es nur die Burka und der Niqab, eine Verschleierung, bei der (im Unterschied zur Burka, in die eine Art Sichtgitter integriert ist) die Augen unbedeckt bleiben, sind, nicht aber auch das Kopftuch, die dem freien Blick der freien Welt weichen sollen.

Ist das Kopftuch nicht ebenso frauenfeindlich, wird es doch aus denselben Gründen von muslimischen Frauen getragen wie Burka und Niqab?

Könnte es sein, dass mit einer Ausweitung des Verhüllungsverbotes nicht nur christliche Ordensschwestern, sondern auch Bäuerinnen und diverse Freizeit-Kopftuchträgerinnen betroffen sein würden, von denen wir annehmen, dass niemand sie zwingt, ihr Haupt zu verhüllen?

Aber ist das tatsächlich so?

Zwingt nicht zumindest im Fall der Ordensschwester die Regel ihrer religiösen Gemeinschaft ihr die Kleidung auf, in welche sie sich hüllt – Kopftuch inklusive?

Bei den Bäuerinnen ist das schon etwas unwahrscheinlicher, aber auch hier mag es solche geben, die sich einer Tradition verpflichtet fühlen und deshalb Kopftuch tragen.

Die Crux an der Debatte ums „Burkaverbot“ besteht doch darin:

Wer mag entscheiden, in welchem Fall eine Verschleierung von Männern im Umfeld der betroffenen Frau erzwungen und wo sie freiwillig aus religiöser Tradition vorgenommen wird?

Dürfen die freiwilligen unter den Burka- und Niqabträgerinnen gegen ihren Willen gezwungen werden, ihre Freiheit zu opfern, weil andere vielleicht zur Verschleierung gezwungen werden?

Der säkulare Staat, dessen Werte die Befürworter des „Burkaverbotes“ durch ihre Maßnahme zu schützen versuchen, muss, seinem Selbstverständnis entsprechend, ertragen, dass Frauen sich freiwillig „erniedrigen“, wenn sie dies aus religiösen Gründen wollen.

Denn wenn er ihnen dies per Gesetz untersagt, widerspricht er seinem eigenen Anspruch und Selbstverständnis. Dann verzichtet er nämlich auf die Äquidistanz zu allen Weltanschauungen und erhebt die eigene, säkulare Überzeugung zur Religion.