Zweck und Mittel

Es braut sich etwas zusammen.

Die Menschen geben sich nicht mehr damit zufrieden, unzufrieden zu sein.

Viele sind bereit, für Freiheit und Gerechtigkeit auf die Straße zu gehen und sich zumindest zu empören.

Ob der „Wutbürger“ immer den richtigen Ton und vor allem den richtigen Gegner trifft, sei dahin gestellt.

Doch die grundsätzliche Bereitschaft, sich nicht (mehr) alles gefallen zu lassen, sich nicht als kleines Zahnrädchen im großen, undurchschaubaren und nicht beeinflussbaren Getriebe verstecken und instrumentalisieren zu lassen, ist vorhanden und wächst.

Eine der Formulierungen des „kategorischen Imperativs“ von Immanuel Kant (aus der „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“) lautet:

„Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.“

Wir dürfen, nein: müssen in der modernen arbeitsteiligen Gesellschaft einander wechselseitig auch als Mittel verwenden.

Ich brauche den Straßenbahnfahrer, um in die Stadt zu kommen, den Koch in meinem Lieblingsrestaurant, weil er mein Lieblingsessen besser zubereitet als ich, den Arzt, der mich mit Wissen und Erfahrung behandelt, über die ich nicht verfüge.

Doch all diese Dienstleister sind nicht nur das, sind nicht bloß Mittel zu meinen Zwecken, sondern auch Menschen und somit Zwecke an sich selbst, die es zu respektieren gilt.

Das Unbehagen, das sich immer stärker ausbreitet, resultiert aus der Erfahrung, dass es nicht mehr nur die Menschen in den ärmsten Regionen der Welt sind, die ihrem Schicksal ausgeliefert sind.

Auch wir fühlen uns zunehmend im Griff von Politik, Wirtschaft und einer Welt, die immer komplexer, immer unübersichtlicher und in mancher Hinsicht leider auch immer egoistischer wird.

Um nicht unter die Räder dieser Entwicklung zu kommen, bedarf es großer und vor allem permanenter Anstrengungen.

Den Respekt, den wir uns selbst schulden und von den Anderen bekommen wollen, müssen wir auch ihnen täglich aufs Neue erweisen.

Das ist keine naiv-moralische Forderung eines Idealisten.

Es ist die einzig realistische Möglichkeit, wie wir uns retten können – gegenseitig.