Sex, Drugs and Rock’n’Roll?

Der Sänger der Deutschen Band „Rammstein“, Till Lindemann, steht im Kreuzfeuer der Kritik.

Zu Recht oder zu Unrecht?

Wer mag das beurteilen?

Ich persönlich bin kein Fan der Band bzw. ihrer Musik, war ich noch nie und dürfte es wohl auch nicht mehr werden.

Doch mein Musikgeschmack darf nicht die Grundlage einer ethischen Beurteilung des vorliegenden Falles sein.

Ob sich die Vorwürfe illegaler Handlungen im Backstage-Bereich erhärten respektive beweisen lassen?

Das bezweifle ich.

Doch es geht nicht nur um „legal“ im juristischen Sinne.

Nicht alles, was rechtlich zulässig ist, muss deshalb auch aus ethischer Sicht „legitim“ sein.

Darf man junge weibliche Fans dafür kritisieren, dass sie sich naiv verhalten, wenn sie zu einer „Backstage-Party“ einer Band wie Rammstein gehen und sich dann wundern, wenn dort nicht bloß Coke Zero getrunken und über Musik geplaudert wird?

Ja, das darf man.

Doch das ändert nichts daran, dass hier womöglich Grenzen überschritten worden sind – wenn man die Berichte der deutschen Bloggerin Kayla Shyx (und anderer betroffener Frauen) ernst nimmt.

Falls es stimmt, dass junge Frauen gleichsam systematisch Till Lindemann – es gilt die Unschuldsvermutung – zugeführt wurden, noch dazu vermittelt von einer weiblichen Mitarbeiterin, die sich den Frauen gegenüber amikal gab, um ihr Vertrauen zu gewinnen, ist das höchst problematisch.

Da mag man noch so sehr das Mantra der Branche – „Sex, Drugs and Rock’n’Roll“ – beschwören.

Auch für Rocker gibt es so etwas wie moralische Grenzen.

Oder jedenfalls sollte es sie geben.

Universal-Joker „Feminismus“?

Der als „feministisch“ geltende Film einer ebensolchen Regisseurin, Marie Kreutzer, ist wegen Kritik an den illegalen Aktivitäten eines Hauptdarstellers in die öffentliche Kritik geraten.

Mehrere Kinos haben den Film aus dem Programm genommen.

Als Kandidat für den Auslands-Oscar ist „Corsage“, so der Name des Films, aber weiter im Programm.

Nun hat auch noch eine Gruppe linker Künstler und Kulturschaffender (darunter so namhafte wie die Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek) eine Lanze für den Film gebrochen.

In einem offenen Brief fordern die Unterzeichner, der Film dürfe nicht boykottiert werden. Die Argumentation dafür lautet wie folgt:

„Wir sind erschüttert, dass ein feministischer Film, der Machtverhältnisse und Rollenbilder hinterfragt, der international für seine visuelle Kraft und seinen Inhalt gewürdigt wird, wegen der Taten eines Mannes aus dem Kinoprogramm genommen und dadurch dem Täter eine Macht gegeben wird, die ihm nicht zusteht.“

Während in den letzten Jahren einige Filme bzw. Serien deshalb aus der Öffentlichkeit verschwanden oder nach einer Nachbesetzung (teilweise) neu gedreht worden sind, weil (bis dahin unbewiesene) Vorwürfe gegen männliche Schauspieler erhoben wurden – Stichwort „#metoo“ -, geht es in diesem Fall um einen Täter, der geständig ist.

Dennoch wird dieser Fall anders behandelt.

Das ist irritierend, weil der Eindruck entsteht, unmoralisches und sogar illegales Handeln von an der Produktion eines Films beteiligten Personen ist nicht so schlimm, so lange der Film bzw. seine Regisseurin „feministisch“ ist.

Zweierlei Maß, das geht gar nicht!

Neues „profil“?

Das Nachrichtenmagazin „profil“ und ich haben eines gemeinsam: Wir wurden beide 1970 „geboren“.

Oscar Bronner, der später die Tageszeitung „Der Standard“ gründete, hat im selben Jahr auch das Wirtschaftsmagazin „trend“ ins Leben gerufen.

Trotz einiger inhaltlicher und formaler Änderungen, welche die Magazine durchlaufen haben, ist zumindest das „profil“ im Großen und Ganzen das geblieben, was es schon immer war:

Ein seriöser und doch humorvoller Begleiter durch die wichtigsten Themen des Landes und der Welt, optisch ansprechend und inhaltlich anspruchsvoll von einem professionellen Team gestaltet.

Nun zieht sich Christian Rainer, seit rund einem Vierteljahrhundert in Amt und Würden als Herausgeber und Chefredakteur, aus dem „profil“ zurück. Eine neue Chefredakteurin, Anna Thalhammer, zieht in die Redaktion ein, die betriebswirtschaftlichen Agenden übernimmt in der Funktion des Geschäftsführers Richard Grasl.

Ob das „profil“ seiner mehr oder weniger neutralen, objektiv berichtenden Rolle treu bleiben wird, dürfte sich bald zeigen.

Zu wünschen wäre es dem Magazin und seinem Team jedenfalls.

Rosen & Kriege

Michael Douglas und Kathleen Turner machten es 1989 vor – allerdings nur im Film:

„Der Rosenkrieg“ war ein bitterböses Sittenbild eines Paares, das sich von Liebe zu gegenseitigem Hass mit tödlichem Ausgang entwickelte.

Mindestens ebenso traurig, wenn auch nicht ganz so tragisch – die Beteiligten leben noch – gestaltete sich die echte Auseinandersetzung zwischen Johnny Depp und Amber Heard.

Nun wurde sie in mehreren Anklagepunkten (er in nur einem) schuldig gesprochen.

In der Gerichtsverhandlung ging es um Verleumdung (von Depp durch Heard), das Thema „häusliche Gewalt“ wurde nur indirekt abgehandelt, es bildete den Hintergrund der Eskalation des Konflikts, zu welchem sich die Beziehung der beiden Hollywood-Stars gewandelt hatte.

Doch wer wem Gewalt angetan hat, er ihr oder sie ihm oder jeder von beiden dem jeweils anderen, das werden wir wohl nie erfahren.

Depp hatte bezüglich der Beweise in der Verhandlung jedenfalls die besseren Karten, was nicht bedeutet, dass er nicht auch Gewalt gegenüber Heard ausgeübt haben könnte.

Doch vor Gericht zählt nicht das, was vielleicht wirklich passiert ist (und nur Depp und Heard wissen können), es geht ausschließlich darum, was bewiesen werden kann.

(Die Tatsache, dass eine Frau ihrem Mann ins Bett kackt, lässt ihren Charakter genauso irritierend erscheinen wie jene den seinen, dass ihr Mann schon frühmorgens betrunken durch die Wohnung torkelt und voller Aggression die Türen von Küchenkästen so fest zuschlägt, dass die Glasscheiben zerspringen.)

Irritierend ist in diesem Zusammenhang allerdings, dass mehrere Medien eine Niederlage für die #metoo-Bewegung aus dem Ausgang des Verfahrens abgeleitet haben.

Doch lässt sich dieser Schluss tatsächlich ziehen?

Ich denke, nein.

Denn wenn die auch via Social Media von Vertretern beider Lager ausgetragene Auseinandersetzung zwischen Johnny Depp und Amber Heard einen wesentlichen positiven Aspekt aufzuweisen hatte, dann diesen:

Gerade trotz der #metoo-Bewegung haben die Geschworenen offensichtlich streng „lege artis“ geurteilt, das heißt: sich auf das beschränkt, was durch Beweise ausreichend belegt war.

Das mag für Amber Heard tragisch sein, falls mehr passiert sein sollte, als sie beweisen konnte.

Es zeigt aber, dass der Rechtsstaat – zumindest in diesem Fall – funktioniert hat.

Soll man Dummheit respektieren?

Jeden Samstag marschieren sie durch die Stadt, mit Fahnen in der Hand und Slogans auf den Lippen.

Die Freiheit stünde auf dem Spiel, die Diktatur vor der Türe.

Ich kann mit den „Corona“-Demonstrationen nicht viel anfangen, auch wenn ich sie – als Demokrat und Liberaler – selbstverständlich nicht verbieten würde.

Die Zahl der Infektionen steigt an, genauso wie die Zahl jener Menschen, die sich gegen den Lockdown zur Wehr setzen, zumindest, indem sie ihrem Ärger auf der Straße Luft machen.

Fair enough!

Man sollte die Ängste der Menschen erstnehmen, ihnen aber auch widersprechen, wenn sie Unsinn glauben und weiterverbreiten.

Jene, die mehr ihrem Gefühl als den Fakten vertrauen, darf man darauf hinweisen, dass sie wahrscheinlich falsch liegen. Doch das sollte respektvoll geschehen, nicht zuletzt auch deshalb, weil niemand auf Kritik eingeht, wenn diese arrogant und besserwisserisch vorgetragen wird.

In einem Punkt haben die „Corono“-Demonstrierer allerdings auch aus meiner Sicht Recht:

Die verantwortlichen Politiker hätten schon längst auf differenzierte Maßnahmen setzen können.

Dass man z.B. die Gastronomie sowie die Kunstszene – mit flankierenden Maßnahmen, z.B. Corona-Tests an den Eingängen zu Restaurants, Theatern usw. – längst wieder öffnen und somit einen weiteren wichtigen Schritt hin zu einer geordneten Freiheit machen hätte können, steht für mich außer Frage.

Die Dummheit der Politiker, dies nicht zu tun, sollte man jedenfalls nicht respektieren.

Der Kunst ihre Freiheit. Der Meinung auch

Die österreichische Kabarettistin Lisa Eckhart ist in Verruf gekommen:

Einige ihrer Gags wären antisemitisch.

Wer Eckharts Programme schon einmal gesehen hat, kann dieser Behauptung nichts abgewinnen.

Tatsächlich mag dem Zuhörer gelegentlich das Lachen im Halse stecken bleiben – allerdings erst, nachdem es schon zur Hälfte den Rachen verlassen hat.

Ist es unzulässig als Österreicherin und Nichtjüdin Witze über Juden zu machen, noch dazu solche, die mit antisemitischen Klischees spielen?

Ich weiß, dass dies – nicht zuletzt auch in der jüdischen Community – umstritten ist.

Doch kurz noch einmal zurück zu Lisa Eckhart:

Ich für meinen Teil bin davon überzeugt, dass sie keine Antisemitin ist.

Aber selbst wenn diese Frage ungeklärt oder unklärbar wäre und auch nur die kleinste Möglichkeit bestünde, dass sie doch eine Antisemitin wäre:

Sollten wir sie boykottieren?

Nein, sollten wir nicht!

Meinungsfreiheit ist aus meiner Sicht ein zu hohes Gut, um es zu beschneiden, selbst dort, wo Grenzen des guten Geschmacks (des Geschmacks von wem eigentlich?) überschritten werden.

Ich persönlich bin dafür, objektive Gewalt und auch noch die Aufforderung zu solcher objektiven Gewalt unter Strafe zu stellen.

Juden zu töten oder andere Menschen dazu auffordern, dies zu tun, sind somit zu Recht per Gesetz als Straftaten definiert und verboten.

Doch Witze, auch antisemitische, und mögen sie für viele von uns noch so geschmacklos sein, sind weder Gewalttaten noch eine Aufforderung dazu.

Was verstehe ich unter „objektiver Gewalt“?

Objektive Gewalt muss notwendige und hinreichende Bedingungen erfüllen, um als Gewalt gelten und verboten werden zu dürfen.

Wenn ich nicht getötet werden will, aber dennoch getötet werde, erfüllt dieser Akt beide Bedingungen: meinen subjektiven Schaden (Ich will nicht getötet werden) und einen objektiven Sachverhalt der Nicht-Interpretierbarkeit seines Ergebnisses (Wenn ich getötet werde, bin ich anschließend tot).

Wenn mich jemand als „Arschloch!“ beschimpft, könnte mich das zwar subjektiv verletzen.

Doch ob ich mich von einer solchen Beschimpfung tatsächlich verletzen lasse, hängt davon ab, wie ich mich ihr gegenüber positioniere.

Entweder, ich habe derjenigen Person, die mich als „Arschloch“ bezeichnet, etwas angetan, was diese Beschimpfung rechtfertigt.

Wie könnte ich mich dann darüber aufregen?

Oder diese Person hat keinen nachvollziehbaren Grund dafür, mich „Arschloch“ zu nennen.

Doch in diesem Fall kann ich genau genommen erst recht nicht verletzt und darüber beleidigt sein.

Anstatt immer mehr (gesetzliche oder ungeschriebene gesellschaftliche) Verbote einzuführen, um nur ja nicht verletzt werden zu können, wäre es besser, Menschen von klein auf (also schon beginnend bei der Erziehung unserer Kinder) zu stärken, mit solchen Versuchen der Kränkung entspannt umzugehen.

Wenn immer mehr Menschen über „Beleidigungen“ lachen, anstatt sie sich zu Herzen zu nehmen, werden jene, die versuchen, andere damit zu verletzen, damit aufhören dies zu tun.

Und außerdem müssen wir dann auch nicht die Freiheit der Kunst bzw., noch fundamentaler, die Meinungsfreiheit beschneiden.

Non scholae sed vitae discimus…

Das geht gar nicht:

Eine der SPÖ nahestehende Lehrerin wagt es öffentlich aufzutreten und auszusprechen, was viele wissen, aber keiner sich bisher zu sagen traute:

Dass es Probleme mit (vor allem) männlichen Schulkindern mit muslimischem Background gibt.

Doch anstatt Susanne Wiesinger und ihr Anliegen ernst zu nehmen, wird gegen sie polemisiert, was das Zeug hält.

„Instrumentalisieren“ habe sie sich lassen, weil sie den „falschen Medien“ Interviews gegeben habe.

(Wiesinger ließ sich von Addendum und Servus TV interviewen bzw. zu Diskussionen einladen – beide Medien gehören Red Bull-Chef Didi Mateschitz, der mit Sicherheit kein Linker ist.)

Den „Konsens, Problem intern anzusprechen und auszudiskutieren“ habe sie verletzt.

Ihre Eindrücke wären „Einzelfälle“, einer „persönlichen Wahrnehmung“ geschuldet.

Was ist von diesen Vorwürfen zu halten?

Wenn es möglich wäre, als Lehrerin in einer politisch von Rot(-Grün), also von „Links“ dominierten Stadt Kritik zu äußern, die dann auch wahr- und ernstgenommen und öffentlich diskutiert würde, wäre es ja prinzipiell okay, auch mit anderen, „linkeren“ Medien zu sprechen.

Doch wenn die sich lange Zeit von der an der Macht befindlichen Politik dazu missbrauchen haben lassen, nicht Klartext zu reden, ist man – selbst als „rote“ Lehrerin – irgendwann dazu gezwungen, sich liberalen (oder meinetwegen konservativen) Medien zuzuwenden.

Das trifft auch auf die Verletzung des Konsens, Probleme „intern“ zu besprechen, zu.

Wenn „intern“ zwar geredet wird, diese Gespräche aber zu keinen Verbesserungen führen, weil die Verantwortlichen nicht zugeben können (oder wollen), dass sie Fehler gemacht haben, ist es unvermeidbar, an die Öffentlichkeit zu gehen, sozusagen „Whistle Blowing“ zu betreiben.

Dass man mit „Reden“ (internem noch dazu) nicht weiterkommt, ja, dass vielleicht schon viel zu lange bloß „geredet“ worden ist, bewies der Wiener Stadtschulratspräsident Heinrich Himmer beim „Talk im Hangar 7“, wo er u.a. mit eben jener Susanne Wiesinger diskutierte:

„Reden“, „Analysieren“ usw. müsse und wolle man.

Ja, eh.

Dass Wiesingers Eindrücke bloß ihre „persönlichen“ und somit nicht repräsentativ wären, ist ein weiterer Versuch, die Lehrerin als „hysterisches Hascherl“ abzukanzeln, um sich nicht weiter mit ihren Themen befassen zu müssen.

Doch Wiesinger war Jahre lang Personalvertreterin, sie dürfte also durchaus einen wesentlich umfangreicheren Blick auf die Problematik haben, als bloß jenen auf Grundlage ihrer eigenen Erfahrungen als Lehrerin an einer bestimmten Schule.

Der Spruch des Titels dieses Kommentars – „Non scholae sed vitae discimus.“ – geht auf den römischen Dichter Seneca den Jüngeren zurück.

Im Original lautet er übrigens genau umgekehrt und war als Kritik am Schulsystem seiner Zeit gedacht:

„Non vitae sed scholae discimus.“

Frei übersetzt könnte das ungefähr dies bedeuten:

„So, wie unser Schulsystem derzeit aussieht, lernen unsere Schüler nicht für ihr Leben, sondern bloß für die Schule.“

Mit nur wenig Aufwand lässt sich diese Analyse auf die Wiener Schulpolitik und ihre Diskursbereitschaft übertragen:

Diese Art von Politik dient bestenfalls den Politikerinnen und Politikern.

Der Schule und den Schülerinnen und Schülern bringt sie nichts.

Eher das Gegenteil.

Russische Revolution!

Rund sechs Jahre ist es her, dass die russische feministische, regierungs- und kirchenkritische Punkrock-Band Pussy Riot ihren berüchtigten Auftritt in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale absolviert hat.

Die Aktion war ein Protest dagegen, dass der Patriarch der Russisch-Orthodoxen Kirche, Kyrill I., Wladimir Putin bei den Präsidentenwahlen unterstützt hatte.

Die gegenseitige Stützung von weltlicher und kirchlicher Macht ist schon per se problematisch, in einem Land wie Russland, das eine bedeutende geopolitische Rolle spielt und immer wieder wegen Verstößen gegen Menschenrechte in der Kritik steht, ist sie noch viel problematischer.

Die Mitglieder von Pussy Riot wurden nach ihrer Aktion inhaftiert und traten während ihres Gefängnisaufenthalts in Hungerstreik ein.

Am 7. Februar 2013 reichten sie beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Klage gegen Russland wegen Verstoßes gegen die Europäische Menschenrechtskonvention ein.

Nun hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zugunsten der Frauen entschieden:

Russland muss mehrere tausend Euro Schmerzensgeld an die Bandmitglieder zahlen.

Das Urteil kommt zur richtigen Zeit:

Beim Finale der Fußball-WM liefen vier Mitglieder von Pussy Riot mit Polizeiuniformen bekleidet über das Spielfeld, um gegen die Inhaftierung politischer Gefangener in Russland zu protestieren.

Paris, November 2015

Man muss kein Franzose sein, um Trauer zu verspüren, Trauer darüber, dass nach kaum einem Jahr (im Jänner 2015 fand das Attentat auf die Redaktion von „Charlie Hebdo“ statt) schon wieder islamistische Attentäter ein Blutbad in der Stadt an der Seine angerichtet haben.

Besucher eines Fußballmatches, Besucher eines Konzerts, Besucher von Cafés – aus diesen Menschen setzt sich die Gruppe der mehr als 120 Toten zusammen.

Waren die Opfer des Anschlags auf „Charlie Hebdo“ Karikaturisten, die sich über radikale Ausprägungen des Islam lustig gemacht haben, so sind es nun völlig Unbeteiligte, die zur falschen Zeit am falschen Ort waren.

Nur damit ich nicht missverstanden werde:

Auch die Karikaturisten hatten es nicht verdient, erschossen zu werden.

Aber welchen Affront gegenüber dem Islam haben sich die Opfer des 13. November 2015 geleistet, um so „bestraft“ zu werden?

Offensichtlich gehört es – aus Sicht radikalisierter Muslime – bereits zur Gottlosigkeit, Fußballfan, Liebhaber moderner Musik und Kaffeetrinker zu sein.

Nein, das wäre zu einfach.

Laut Augenzeugenbericht hätten die Attentäter Frankreichs Engagement im Kampf gegen den Islamischen Staat in Syrien als Grund für ihren Rachefeldzug genannt.

Aber kann man es sich als Terrorist tatsächlich so einfach machen und riskieren, Menschen zu töten, die vielleicht gar nicht geschlossen hinter ihrer Regierung und deren außenpolitischen Entscheidungen stehen?

Was, wenn es sich bei den Opfern um muslimische Franzosen handelt?

Um solche, die dezidiert das Syrien-Engagement Frankreichs nicht gutheißen?

„Kollateralschaden!“ würde ein überzeugter islamistischer Terrorist auf diesen Einwand wohl antworten.

Aber mit jeder weiteren Pirouette, die ein Gehirn dreht, drehen muss, um solche Taten zu „argumentieren“, zeigt sich, welches Ausmaß an Wahn von ihm Besitz ergriffen haben muss.

Und dennoch:

Es mag paradox erscheinen, aber Fanatismus, ganz egal, in welches Mäntelchen er sich hüllen, zu welchen „hehren“ Zielen auch immer er sich bekennen mag, ist meistens der Ausdruck großer Hilflosigkeit.

Je gewalttätiger ein Mensch ist, je mehr „Stärke“ er in seine Taten investiert, umso klarer gibt er zu erkennen, wie schwach er in Wahrheit ist.

Die letzten Helden

Nun ist er also tot: Winnetou oder besser gesagt: Pierre Brice, aber eigentlich doch: Winnetou.

Der französische Schauspieler hat den berühmten Appachen-Häuptling in den Filmen verkörpert, die meine Kindheit und Jugend und indirekt wohl auch mein Erwachsenenleben geprägt haben.

Winnetou und Old Shatterhand waren, neben Batman, Superman und Spiderman, meine Helden.

Selbst heute bekomme ich noch feuchte Augen, wenn ich den Titelsong der Filme im Radio höre.

Wenn ich erfahre, wie in den Kindergärten von heute den Kleinen eingebläut wird, dass Cowboy und Indianer zu spielen nicht okay, weil so „gewalttätig“ ist, und mit Waffen aufeinander zu schießen, „grauslich“, muss ich lachen.

Selbstverständlich haben wir Cowboy und Indianer gespielt, uns dabei jedoch nicht die Bösen, sondern Old Shatterhand und Winnetou zu Vorbildern genommen.

Wir sind durch die Prärie geritten, haben uns angepirscht und auf einander geschossen, wenn es unvermeidlich war.

Aber wir haben auch Gefangene befreit, am Lagerfeuer zusammen die Friedenspfeife geraucht und Blutsbruderschaften geschlossen.

Auch Winnetou und Old Shatterhand und ihre Freunde haben geschossen und getötet. Aber nur in Notwehr.

Hauptsächlich haben sie Menschen geholfen, die in Not waren, Armen, Schwachen, Unterdrückten.

Das hat Eindruck auf mich gemacht.

Pierre Brice war für mich Winnetou, so wie Lex Barker Old Shatterhand war und immer sein wird.

So long, du edler Appachen-Häuptling, deine Heldentaten und die Abenteuer meiner Kindheit, zu denen sie meine Freunde und mich inspiriert haben, werden mir unvergessen bleiben.