Kranke Ärzte

Der „hippokratische Eid“ geht wahrscheinlich nicht auf den Arzt Hippokrates zurück, der um 460 bis 370 v. Chr. auf der griechischen Insel Kós gelebt, geheilt und gelehrt hat. Die Mediziner von heute schwören nicht mehr auf ihn. 

Das mag nicht zuletzt daran liegen, dass viele der im Original enthaltenen Verbote (etwa jenes der Abtreibung, jenes der Sterbehilfe oder dasjenige, Gallensteine zu operieren – für Operationen war der Chirurg zuständig, der Vertreter eines eigenen Berufsstandes) den Bedürfnissen der modernen Zeit nicht mehr gerecht werden.

Im Kern entsprechen die Ge- und Verbote des „hippokratischen Eides“ aber immer noch der Erwartung, die Menschen zu Recht Ärzten gegenüber haben:

Schmerzen zu lindern und die Ursachen dafür nach Möglichkeit zu beseitigen.

Wenn zutrifft, was Vincent Iacopino, medizinischer Berater der NGO „Ärzte für Menschenrechte“ und der pensionierte General der US-Army, Stephen Xenakis, über das Wirken der Ärzte im US-amerikanischen Gefangenen-Lager Guantanamo heraus gefunden haben wollen, wäre dies die Todsünde wider das ärztliche Ethos schlechthin.

Untersucht wurden jene Mediziner, die permanent vor Ort waren und deren Aufgabe darin bestand, die körperlichen und psychischen Beschwerden der Gefangenen zu diagnostizieren und schriftlich festzuhalten.

Einige (vielleicht alle?) dieser Mediziner dürften bewusst weg gesehen bzw. falsche Angaben bei der Erklärung von Symptomen gemacht haben, die auf Folter zurück zu führen sind.

Zwar stützt sich die Untersuchung bisher nur auf neun Gefangene, die beiden Autoren sehen aber dennoch genügend Beweise für ihre Vermutung erbracht, dass gezielt getäuscht und gelogen wurde.

Schlimmer als die Vertuschungen der Folter ist nur mehr die Tatsache, dass sich andere Mediziner – zumindest indirekt: durch die Beratung der Folterknechte – am gezielten Quälen und Verstümmeln der Inhaftierten beteiligt haben dürften.

Das System „Guantanamo“ per se ist schon ein Verbrechen wider die Menschlichkeit. Es wird von einem mit unbeschränkter Macht ausgestatteten, quasi-diktatorisch agierenden Land ausgeübt, das sich als bedeutendste Demokratie der Welt tarnt.

Dass Ärzte den „hippokratischen Eid“ brechen, ihr Ethos verraten und sich an diesem Verbrechen beteiligen, ist unerträglich.