Michael Spindelegger, der aktuelle ÖVP-Chef, hat damit angefangen.
Vielleicht lassen sich die anderen Parteichefs bzw. -chefinnen von seiner Idee anstecken:
Einen Moral-Kodex für die eigene Partei zu fordern.
Der Ansatz ist prinzipiell in Ordnung und sollte gefördert werden, denn Moral darf und muss verlangt werden – gerade von Jenen, die an den sprichwörtlichen Schalthebeln der Macht sitzen.
Doch, Halt..!
Können Menschen vom Typ eines Ernst Strasser wirklich durch Moral-Kodizes davon abgehalten werden, ihre unmoralischen Spielchen zu spielen, so lange diese weiterhin legal sind?
Zweifel sind erlaubt, denn sie sind das Salz in der Suppe des naiven Glaubens an das Gute.
Ein Parteichef, der Moral per Kodex, nicht aber de iure, einklagt, der bei den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln, hier: der Förderung strengerer Gesetze also weiter auf der Bremse steht, kann kaum als „role model“ oder „best practice“-Beispiel für kommende PolitikerInnen herhalten.
Die Wahrheit ist so simpel wie traurig:
Moral ist „work in progress“, eine Ausbildung, die schon in der Kindheit ansetzen und sich in jeder Situation neu beweisen muss – auch und vor allem dort, wo niemand – z.B. die EU-Öffentlichkeit im „Lobbying-Fall Strasser“ – zusieht.
Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr, heißt es so schön.
Zu glauben, dass erwachsene Menschen, die bisher in erster Linie ihrem Eigennutz oder jenem ihrer Partei gedient haben, plötzlich ein Damaskuserlebnis erfahren und sich um 180 Grad wenden, ist dumm oder unehrlich.
Wenn die ÖVP von einem Tag auf den anderen ihre „moralische Bestimmung“ entdeckt (angeblich wegen Fällen wie jenem von Ernst Strasser), muss die kritische Frage erlaubt sein:
Wie war das damals bei der Delegationsleitung der ÖVP in Brüssel, als Ernst Strasser zum Zug kam, obwohl Othmar Karas mehr Vorzugsstimmen bekommen hatte?
Zu diesem Zeitpunkt hatte das Magazin „profil“ bereits über die so genannte „E-Mail-Affäre“ im Innenministerium Ernst Strassers berichtet.
Allein diese Affäre hätte aus moralischen Gründen ausgereicht, Strasser in die Wüste, anstatt nach Brüssel zu schicken.
Wen will Michael Spindelegger mit seinem Kodex „Mores lehren“?
Jene, die Ernst Strasser in die ÖVP geholt, trotz E-Mail-Affäre protegiert und trotz Karas-Sieg als Delegationsleiter nach Brüssel geschickt haben?
Wenn Spindelegger es ernst meint, müsste er sie aus der Partei entfernen, bevor sein Moral-Kodex in Kraft tritt.
Tut er das nicht, kann er sich seinen Kodex zu Hause an die Wand nageln oder ihn an einem stillen Örtchen zu letzter Verwendung deponieren…