Auf den ersten Blick scheint es irritierend:
Zwei Unternehmer in Wien haben sich auf die Anwendung der Scharia geeinigt und einen entsprechenden Schiedsrichter festgelegt.
Was hat eine religiöse Rechtsprechung in einem per definitionem säkularen Rechtsstaat zu suchen?
Intuitiv würden die meisten von uns wahrscheinlich sagen: „Nichts!“
Doch die Aufregung über den konkreten Fall und die dahinterstehende, vom österreichischen Recht abgesicherte, Struktur dürfte ein Sturm im Wasserglas sein.
Zunächst einmal ist es im Privatrecht möglich, sich auf Regeln und einen Schiedsrechter, der über ihre Einhaltung wacht, zu einigen – und so lange die betroffenen Parteien, in diesem Fall: zwei Privatpersonen, damit einverstanden sind, ist das legal und legitim.
Doch davon abgesehen hat der Gesetzgeber ohnedies eine Art Sicherheitsnetz eingebaut:
Solche privaten, freiwillig von den Betroffenen eingegangenen juristischen Vereinbarungen und Verpflichtungen sind nur dann zulässig und somit rechtlich bindend, wenn sie nicht gegen Grundwerte des österreichischen Rechts verstoßen.
Es wäre also beispielsweise unmöglich, dass zwei Erwachsene per Vertrag eine Art „Herr und Sklave“-Verhältnis zu einander besiegeln – nun, zumindest eines, das rechtlich bindende Verpflichtungen, die einklagbar wären, etabliert.
Der konkrete Anlassfall ist nur deshalb publik geworden, weil einer der beiden Vertragspartner mit dem Spruch des mit dem anderen Vertragspartner gemeinsam festgelegten Schiedsrichters nicht einverstanden war.
Die Begründung des Betroffenen, für die Weigerung, diesen Schiedsspruch zu befolgen, lautet sinngemäß:
Die Scharia werde von Gelehrten verschieden ausgelegt, die Berufung auf diese verstoße gegen Grundwerte des österreichischen Rechts.
Das (österreichisches) Gericht sah dies – auf Basis der oben skizzierten rechtlichen Rahmenbedingungen – anders:
Der Urteilsspruch konfligiert nicht mit den österreichischen Grundwerten und ist daher gültig.
Das Einzige, was der mit diesem Urteilsspruch nicht Zufriedene aus der Sache lernen könnte (und sollte):
Es hat einen guten Grund, warum wir, die wir in einem säkularen Rechtsstaat leben, unsere Gesetze und ihre Auslegung einer langen Tradition der permanenten Reflexion, Kritik und Verbesserung auf Basis von Vernunft, von Logik und wissenschaftlicher Empirie verdanken und nicht einer religiösen Tradition.