Auf der Flucht, die zweite

Über die Widerstände der Gemeinden in Österreich habe ich bereits geschrieben.

Hier geht es um das „größere Ganze“, Europa, namentlich: die Europäische Union, die es nicht schafft, an einem gemeinsamen Strang zu ziehen, um das Flüchtlingsproblem in den Griff zu bekommen.

Dass mittel- bis langfristig auch außenpolitische Maßnahmen nötig sein werden, steht außer Frage; dazu gehören akkordierte Maßnahmen in den Herkunftsregionen der Flüchtlinge. Das könnte politischer und ökonomischer Druck sein, der auf die kriegstreibende Parteien ausgeübt wird in Verbindung mit positiven Angeboten an die entsprechenden Länder.

Frieden schaffen stünde an oberster Stelle der Agenda, in weiterer Folge: eine ökonomisch und sozial stabile Lage vor zu Ort etablieren.

Kurzfristig kommt die EU bzw. kommen ihre Mitgliedsländer jedoch nicht umhin, Flüchtlinge zuerst einmal aufzunehmen und ihnen Schutz und ein seriöses Verfahren zu bieten. Mag sein, dass nicht alle in Europa bleiben dürfen, wenn sich herausstellt, dass einige keinen echten Asylgrund haben.

Aber das darf erst mit Abschluss des jeweiligen Verfahrens entschieden werden.

Tausende von Menschen unter den Generalverdacht des „Asylbetrugs“ zu stellen und deshalb die Grenzen nach Europa dicht zu machen, widerspricht den Werten der Union und jene Europas, das sich zu Recht zugute hält, keine religiös und weltanschaulich konservative Region der Welt mehr zu sein und keine „neoliberale“, wie das z.B. die USA sind.

Europa kann die Herausforderung bewältigen, die Mittel und Möglichkeiten dazu existieren.

Die Frage, ob wir es schaffen, ist keine des „Könnens“, sondern eine des „Wollens“.

Um dieses zu schaffen, müssen nationale Politiker ihren Binnenchauvinismus aufgeben und anfangen, in größeren Maßstäben zu denken.

Dazu gehört auch eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge auf die EU-Staaten.

Mag sein, dass dies manchen Staatsführern politisch kurzfristig schaden könnte.

Langfristig gesehen und in Generationen unserer Kinder und Enkelkinder gedacht, wird es aus der Zukunft betrachtet die richtige Entscheidung gewesen sein.

Auf der Flucht

Es ist eine Schande: Eines der reichsten Länder der Welt schafft es nicht, Flüchtlinge unter menschenwürdigen Bedingungen unterzubringen.

Woran scheitert es?

An der Feigheit lokaler PolitikerInnen, die es „ihrer“ Bevölkerung nicht zumuten zu können glauben, mit Menschen aus anderen Ländern konfrontiert zu werden, die nicht als zahlende TouristInnen nach Österreich kommen, sondern, weil sie an Leib und Leben bedroht sind.

Natürlich wäre es problematisch, einfach über die ÖsterreicherInnen und ihre Sorgen „drüberzufahren“.

Aber das ist gar nicht nötig.

Eine akkordierte Aktion aller im Parlament vertretenen Parteien – vielleicht mit Ausnahme der FPÖ, die hier nicht mitziehen würde -, eine Rede des Bundespräsidenten an „sein“ Volk, Initiativen von „Opinion Leaders“ (z.B. Schauspielern, Sportlern – idealer Weise solcher, die selbst Migrations- oder sogar Flüchtlingshintergrund aufweisen) und diversen Institutionen wie z.B. Medien, Kirchen usw. würden ausreichen, den ÖsterreicherInnen zu zeigen, dass sie offene Herzen und offene Türen für Menschen in Not haben – auch wenn „ihre“ PolitikerInnen das Gegenteil glauben.

Die Tatsache, dass immer mehr Menschen in Eigeninitiative nach Traiskirchen fahren, um den Flüchtlingen ihre Hilfe anzubieten, ist ein Zeichen, das die Politik aufgreifen sollte. Die überwiegende Mehrzahl der ÖsterreicherInnen ist hilfsbereiter, als lautstark auftretende Einzelne, die sich gegen „Asylanten“ positionieren, das vermuten ließen.

Griechische Tragödie

Es gehört zur Tragödie – gemeint ist die theatralische Inszenierung – dazu, das Leid in allen Farben auszumalen, es an der einen oder anderen Stelle besonders bunt zu zeichnen, egal, ob das den Tatsachen entspricht oder nicht. Übertreibung ist notwendig, lernt man beim Schauspielunterricht – zumindest, wenn es um Theateraufführungen geht -, denn die kleine Geste bleibt unbemerkt und das Publikum in der letzten Reihe soll ja auch vom Schmerz des tragischen Helden erfahren, er muss ihn daher übertrieben darstellen, damit es wirkt.

So präsentieren sich die Griechinnen und Griechen seit Monaten als von der „Troika“, dem „Kapitalismus“ bzw. „Neoliberalismus“ Ausgebeutete, Gequälte, Geschundene und hoffen auf Mitleid, das ihnen tatsächlich von Linken aller Herren Länder bis hin zu US-amerikanischen Wirtschaftsnobelpreisträgern entgegen gebracht wird.

Doch ist dieses Mitleid berechtigt?

Griechenland hat sich unter Vorspiegelung falscher Tatsachen in die EU geschummelt.

„Ja, aber diese EU hat das durchschaut und trotzdem die Türe weit aufgemacht“, lautet das Gegenargument der Linken, versehen mit dem Nachsatz, „um Geld via Kreditzinsen zu verdienen und die eigene (Export-)Wirtschaft zu fördern.“

Die „bösen Banken“ kommen als nächstes ins Spiel der griechischen Selbstverteidigung und danach sogleich der „internationale Finanzkapitalismus“.

Zuletzt wird dann auch noch auf die „Austeritätspolitik“ verwiesen und auf ihre kontraproduktiven Effekte.

Was die Griechinnen und Griechen und ihre linken Unterstützer weltweit jedoch geflissentlich übersehen:

Dem Land wurde nicht nur sehr viel Geld geliehen (und mit großzügigen Zinsen und Rückzahlungsfristen versehen), es wurde ihnen auch sehr viel Geld geschenkt (durch einen umfangreichen Schuldenschnitt).

Dass die EU Griechenland trotz ihr – vielleicht – bekannter schlechter Wirtschaftsdaten in ihre Reihen aufgenommen hat, kann man als Eigeninteresse Deutschlands und anderer starker, exportorientierter Nationen interpretieren.

Man kann es aber auch so sehen:

Gerade Deutschland hat, wohl nicht zuletzt aus historischer Schuld und dem daraus erwachsenen Verantwortungsgefühl und jenem der moralischen Verpflichtung Europa gegenüber, so viel für diese Gemeinschaft geleistet (nicht zuletzt durch überproportionalen Einsatz von Finanzmitteln), dass der „Egoismus-Vorwurf“ ins Leere geht und der vom „bösen Kapitalismus“ gleich mit dazu.

Für Deutschland (und Frankreich) waren es vor allem Idealismus und Solidarität, die sein Engagement für das Zusammenwachsen Europas inspiriert haben, natürlich auch ökonomische Interessen, aber wer hat die nicht?

Griechenland, das „Demokratie“ und „Solidarität“ als europäische Werte beschwört, hat im Unterschied dazu seit Jahr(zehnt)en auf Pump gelebt: auf Kosten der eigenen Volkswirtschaft, auf Kosten der EU.

Nun den Regierungen, die (aus Eigeninteresse) nicht streng genug mit Steuersündern im Land umgegangen sind und Heerscharen von Beamten Jobs gegeben haben, vorzuwerfen, sie alleine wären Schuld, ist verlogen.

Gewählt wurden diese Regierungen vom griechischen Volk, das flächendeckend an der Korruption und Ausbeutung des eigenen Landes beteiligt war (und ist). Sich jetzt aus der Verantwortung zu stehlen und den schwarzen Peter Deutschland / der EU / einer kapitalistisch-neoliberalen Verschwörung zuzuschieben, ist fadenscheinig und darüber hinaus auch kontraproduktiv.

Mag sein, dass die Tragödie Griechenlands keine reine Inszenierung, sondern für viele Menschen ein echtes Trauerspiel ist.

Umso wichtiger, dass die Menschen vor Ort endlich ihre Eigenverantwortung wahrnehmen und jene Demokratie, von der sie gerne reden, wenn sie die Solidarität Europas einfordern, leben, indem sie damit aufhören, sich selbst anzulügen und ihr Land, einander und somit zuletzt auch sich selbst auszubeuten.

Die letzten Helden

Nun ist er also tot: Winnetou oder besser gesagt: Pierre Brice, aber eigentlich doch: Winnetou.

Der französische Schauspieler hat den berühmten Appachen-Häuptling in den Filmen verkörpert, die meine Kindheit und Jugend und indirekt wohl auch mein Erwachsenenleben geprägt haben.

Winnetou und Old Shatterhand waren, neben Batman, Superman und Spiderman, meine Helden.

Selbst heute bekomme ich noch feuchte Augen, wenn ich den Titelsong der Filme im Radio höre.

Wenn ich erfahre, wie in den Kindergärten von heute den Kleinen eingebläut wird, dass Cowboy und Indianer zu spielen nicht okay, weil so „gewalttätig“ ist, und mit Waffen aufeinander zu schießen, „grauslich“, muss ich lachen.

Selbstverständlich haben wir Cowboy und Indianer gespielt, uns dabei jedoch nicht die Bösen, sondern Old Shatterhand und Winnetou zu Vorbildern genommen.

Wir sind durch die Prärie geritten, haben uns angepirscht und auf einander geschossen, wenn es unvermeidlich war.

Aber wir haben auch Gefangene befreit, am Lagerfeuer zusammen die Friedenspfeife geraucht und Blutsbruderschaften geschlossen.

Auch Winnetou und Old Shatterhand und ihre Freunde haben geschossen und getötet. Aber nur in Notwehr.

Hauptsächlich haben sie Menschen geholfen, die in Not waren, Armen, Schwachen, Unterdrückten.

Das hat Eindruck auf mich gemacht.

Pierre Brice war für mich Winnetou, so wie Lex Barker Old Shatterhand war und immer sein wird.

So long, du edler Appachen-Häuptling, deine Heldentaten und die Abenteuer meiner Kindheit, zu denen sie meine Freunde und mich inspiriert haben, werden mir unvergessen bleiben.

Die unerträgliche Leichtigkeit des Nichtwichtigseinwollens

Eher zufällig habe ich es erfahren, via Facebook, über das Posting einer Freundin, die ebenfalls Philosophin ist:

Odo Marquard ist tot.

Er starb vor drei Tagen (also am 9. Mai 2015) in Celle im Alter von 87 Jahren.

Ich habe nicht viel gelesen von diesem deutschen Philosophen, der mir das erste Mal in meinem Philosophiestudium begegnet ist – über einen seiner markanten Aussprüche, den ein Professor eher beiläufig erzählte und den ich mir bis heute gemerkt habe:

Die Philosophie, so Marquard, besäße die „Inkompetenzkompensationskompetenz“.

So viel augenzwinkernde Unaufgeregtheit, so viel sich selbst nicht wichtig Nehmen, ist schon beinahe Ausdruck philosophischer Genialität.

Es wundert kein bisschen, dass Marquard seine eigenen philosophischen Texte als „Transzendentalbelletristik“ bezeichnet hat.

Wer die Philosophie und ihre deutschsprachigen Kerzerlträger kennt, die sich gerne wichtig, allzu wichtig nehmen, wenn sie im Brustton der Überzeugung der eigenen Bedeutsamkeit Trivialitäten in die von Trivialitäten mittlerweile übergehende Welt hinaustragen, muss Odo Marquard dankbar dafür sein, dass er den Peter Sloterdijks und Richard David Prechts dieser Welt die Grenzen ihres Denkens und Schreibens aufgezeigt hat.

Obwohl ich, wie gesagt, nicht viel von Odo Marquard gelesen habe, alleine durch seine selbstironisch-bescheidene Art habe ich mehr gelernt als durch die Lektüre der Bücher seiner sich gerne ins Rampenlicht drängenden „Kollegen“.

Ein Schiff wird kommen…

…und dann noch eins und dann noch eins und…

Dass die Flüchtlinge, die sich per Boot übers Mittelmeer ins „gelobte Land“ Europa aufmachen, schlechte Karten haben, wissen die meisten von ihnen nicht oder sie sehen das einfach ganz anders:

Wer daheim nichts zu fressen hat oder von Krieg und Verfolgung bedroht ist, hat nichts zu verlieren.

So lange wir in Europa nicht näher zusammen rücken – gerade auch, was die gemeinsame (Flüchtlings-)Politik betrifft -, wird sich nichts ändern.

Neben Maßnahmen, die EU-weit abgestimmt werden müssen und jene Länder an der südlichen Grenze unterstützen, die als Ankunftsstaaten direkt betroffen sind (z.B. Italien und Griechenland), wird es wohl früher oder später unumgänglich sein, Diktatoren, die ihr Volk unterdrücken, nicht mehr zu hofieren, um günstig an Rohstoffe zu gelangen, Subventionen für die eigenen Güter abzuschaffen, welche die Einwohner in ärmeren Ländern der Welt bisher zur Konkurrenzunfähigkeit verdammen und infrastrukturelle Maßnahmen zu fördern, welche den Menschen in ärmeren Regionen zugute kommen – Stichwort: Hilfe zur Selbsthilfe.

Das muss die sogenannte „Erste Welt“ nicht unbedingt deshalb tun, weil es vielleicht moralisch geboten wäre. Denn darüber kann man moralphilosophisch streiten.

Sie sollte es ganz einfach deshalb machen, weil es ihr selbst mittel- bis langfristig zugute kommt.

Der Ansturm der Flüchtlinge wird in Zukunft nicht schwächer werden, sondern noch ansteigen – mit allen sicherheitspolitischen Problemen, die damit einhergehen (z.B. Terrorismus).

Auch für den – egoistisch gedacht – funktionierenden Tausch von Waren und Dienstleistungen im globalen Maßstab brauchen wir eine Welt, die auf eine gewisse Gleichheit der Chancen achtet.

Nicht, weil sich dies „gerechtigkeitstheoretisch“ begründen lässt, sondern, weil es auch uns selbst nützt.

Griechische Fingerübung

Hat er oder hat er nicht?

Vom neuen griechischen Finanzminister geistert ein Video durchs Internet.

Zu sehen ist Yanis Varoufakis darin bei einer eindeutigen Geste während einer Rede, die er beim Subversive Festival in Zagreb im Jahr 2013 gehalten hat.

Er streckt den Mittelfinger der linken Hand nach oben. Begleitet wird das Ganze durch die Worte:

„My proposal was that Greece should simply announce that it is defaulting just like Argentina did. Within the Euro in January 2010 and stick the finger to Germany and say: Well, you can now save this problem by yourself.“

Als das Video durch einen Zuspieler bei Günther Jauchs gleichnamiger Sendung im ARD auftauchte, tat Varoufakis es als Fake ab. Wenige Tage später meldete sich der deutsche TV-Satiriker Jan Böhmermann zu Wort. Er behauptete, das Finger-Video sei tatsächlich ein Fake, er und sein Team hätten es gebastelt.

Die Frage, ob es sich beim gestreckten Finger um ein echtes „Foul“ handelt oder nicht, ist aber eigentlich irrelevant.

Denn die Haltung, die nicht nur der neue griechische Finanzminister, sondern die gesamte griechische Regierung Deutschland und der gesamten restlichen EU gegenüber an den Tag legt, ist mehr als fragwürdig.

Das Land, das schwer verschuldet ist und schon seit Jahren am Tropf der übrigen Mitgliedsstaaten der Union hängt, fällt vor allem durch Arroganz auf, vernünftige Vorschläge zur Kurskorrektur und dazu, wie Griechenland endlich die volkswirtschaftliche Kurve kratzen könnte, bleiben die Verantwortlichen in Athen bis heute schuldig.

Mag sein, dass Griechenland historisch betrachtet (Stichwort „Nazizeit“) berechtigten Hass auf Deutschland hat. Der Finger, den Varoufakis vielleicht nur als Fake, Griechenland jedoch im übertragenen Sinne tatsächlich in die Höhe streckt, ist auch ein Affront gegenüber den anderen EU-Ländern, von deren Goodwill Griechenland genauso abhängt wie von jenem der Deutschen.

Die Athener Regierung sollte sich ernsthaft überlegen, mit welchen Worten und Gesten sie denjenigen gegenüber auftritt, die sie eigentlich um Hilfe bittet. Sonst könnte bald die gesamte EU den Mittelfinger Richtung Griechenland ausstrecken.

Zwei Fäuste für ein Halleluja

Der neue Past, Franziskus, hat bereits kurz nach seinem Amtsantritt selbst eingefleischte Atheisten aufhorchen lassen.

Der erste Nachfolger Christi seit langem, der diese Nachfolge offensichtlich ernst nimmt.

Er isst in der Kantine mit den anderen „Angestellten“ im Vatikan, stellt sich dort auch brav an und wartet, bis er an die Reihe kommt, er wohnt nicht im Luxus-Appartment, das für ihn vorgesehen wäre, sondern als Gleicher unter Gleichen.

Das ist gewiss revolutionär, genauso wie die Entscheidung, an der Basis der Katholischen Kirche systematisch nachzufragen, was die Christinnen und Christen so denken und was sie bewegt.

Daraus könnte theoretisch eine neue Katholische Kirche entstehen.

Doch nicht alles, was Papst Franziskus sagt und tut, bestärkt die Hoffnungen, die in seine Person gesetzt wurden.

Kurz nach dem Attentat auf die Karikaturisten von „Charlie Hebdo“ in Paris zeigte der Heilige Vater ein gewisses Verständnis für gewalttätige Reaktionen auf persönliche Beleidigungen, indem er meinte, wenn jemand seine – also des Papstes – Mutter beleidigen würde, müsste er mit einem Faustschlag rechnen – wohlgemerkt: einem Faustschlag des Papstes, des Stellvertreters Christi auf Erden, der ja angeblich nicht nur Frieden gepredigt, sondern auch gefordert hat, im Falle eines Schlages auf die eine Backe, dem Angreifer auch noch die andere hinzuhalten.

Wenig später konnte Franziskus der Aussage eines Vaters etwas abgewinnen, er würde sein Kind schlagen, „aber nicht ins Gesicht“, um dessen „Würde zu wahren“. „Würdevolles Schlagen“ eines Kindes, so darf man das wohl zu Recht interpretieren, ist also durchaus im Sinne des Papstes.

Solche Aussagen vertragen sich nicht mit dem Bild des Liberalen, das Franziskus gleich nach Beginn seines Pontifikats Gläubigen und Ungläubigen vermittelt hat. Sie sind vollkommen inakzeptabel, wobei man nicht einmal sagen kann, welche der beiden „Gewalt unter bestimmten Umständen ist eh irgendwie okay!“-Aussagen die schlimmere ist.

Versteckt sich hier ein Wolf im Schafspelz? Ist all die Freundlichkeit nur gespielt? Oder hat der Papst sich bloß unglücklich ausgedrückt?

Ob es sich um einen Hardliner mit sanftem Lächeln handelt oder doch um einen Reformer, wird sich letztlich daran zeigen, welche seiner Vorhaben er verwirklicht und wie weit er dabei auf die Bedürfnisse der Basis eingeht.

Seine Kommentare zu Gewalt gegen Kinder und gegen Menschen, die „religiöse Gefühle“ verletzen, sollte er aber in jedem Fall widerrufen. Sie sind nicht nur nicht (mehr) zeitgemäß, sie bergen auch eine immense Gefahr in sich: Die – im wahrsten Sinne des Wortes – Absegnung von Gewalt durch die höchste Instanz einer wichtigen, weltweit aktiven Glaubensgemeinschaft könnte zu mehr Gewalt ihrer Mitglieder führen und Radikale anderer Religionen (wie die „Charlie Hebdo“-Attentäter) in ihren Taten bestärken.

Je suis Charlie

Natürlich bin auch ich Charlie.

Ich trete für das Recht auf freie Meinungsäußerung ein – und zwar für alle Menschen, egal, woran sie glauben.

Das bedeutet selbstverständlich auch, dass ich dafür bin, dass nichts „heilig“ ist, sich Satire über alles, ja, gerade über das, was irgendeinem Menschen heilig ist, lustig machen darf.

„Heiliges“ hat in unserer säkularen Gesellschaft nichts verloren.

Das soll heißen: Jeder darf natürlich glauben, woran er will, meinetwegen auch an Gott.

Aber in einem säkularen Rechtsstaat muss er es ebenso ertragen, dass ich der Meinung bin, dass sein Glaube Unsinn ist und dies auch öffentlich bekunde.

Wenn er mich deshalb töten will und sogar den Versuch startet, dies zu tun, endet seine demokratisch garantierte Freiheit.

Töten ist keine Satire, keine „freie Meinungsäußerung“. Töten ist ein Verbrechen. Punkt.

Der Paragraf 188 des österreichischen Strafrechts, der es verbietet, sich über religiöse Lehren lustig zu machen, gehört sofort abgeschafft, das Konkordat muss aufgekündigt und die Beschneidung jüdischer und muslimischer Kinder verboten werden.

Wer „Ich bin Charlie“ sagt und trotzdem weiter an diesen Absurditäten festhält, sollte lieber den Mund halten.

Gerechtigkeit steuern..?

Bis zum Frühjahr wollen sie sich geeinigt haben. Die beiden Regierungsparteien. Auf eine Steuerreform.

Mal sehen…

Die SPÖ möchte ihren WählerInnen – den sich selbst als „kleiner Mann“ bzw. „kleine Frau“ verstehenden Menschen, die das Gefühl nicht loswerden, sie würden stets zu kurz kommen – mit symbolträchtigen Maßnahmen Hoffnung auf eine bessere Zukunft machen.

Stichwort „Gerechtigkeit“.

Doch was bedeutet das eigentlich, „Gerechtigkeit“?

Weniger arbeiten, bei gleichem Lohn? Ein größeres Stück „vom Kuchen“? Von welchem Kuchen? Wer hat den gebacken? Und wird der nicht schneller verschwinden, als man „Mahlzeit!“ sagen kann, wenn alle bloß davon naschen möchten, sich aber niemand daran beteiligen will, die Zutaten zu bezahlen und ihn zu backen?

Viele in der SPÖ fordern Vermögens- und Erbschaftssteuern, die ÖVP kann damit wenig anfangen.

Während die „Roten“ den kleinen Leuten „mehr Netto vom Brutto“ im Brieftascherl lassen wollen, damit die über ihren Konsum die Wirtschaft ankurbeln, möchten die „Schwarzen“ lieber die Investitionsbereitschaft der Wirtschaftstreibenden stimulieren. Das soll, indirekt, auch den Menschen helfen, gemäß der Formel: „Geht ’s der Wirtschaft gut, geht ’s uns allen gut!“

„Bottom up“ versus „top down“.

Dabei könnte man meinen, dass die beiden Seiten ohnedies kommunizierende Gefäße seien, wobei die Veränderung der einen nicht ohne Auswirkung auf die andere Seite bliebe.

Wie viel an Entlastung, Umverteilung und Investition überhaupt möglich ist, hängt nicht nur von den mehr oder weniger guten Absichten der beiden Parteien ab, sondern auch von der weltwirtschaftlichen Entwicklung der nächsten Monate und Jahre. Die volkswirtschaftliche Fitness, um diesen Entwicklungen erfolgreich begegnen zu können, wird nicht durch ideologische Wettkämpfe erlangt werden.

Welches Konzept umgesetzt wird, dürfte sich zwar auch, aber nicht in erster Linie daran entscheiden, wer den Menschen den plausibleren „Gerechtigkeitsbegriff“ anbieten kann.

Die Steuerreform wird kommen, so oder so.

Vielleicht sollte dabei weniger die Frage im Mittelpunkt stehen, ob sie „gerecht“ (was immer das heißen mag), sondern ob sie im internationalen Wettbewerb leistbar ist – und zwar nicht nur für die gegenwärtige, sondern auch für die nächste Generation.