Es ist wieder einmal so weit:
Wir haben einen Karikaturen-Eklat.
Diesmal ist es nicht der Islam, der (über)reagiert, sondern der hierzulande vorherrschende Katholizismus.
Das corpus delicti sind zwei Cartoons, die Manfred Deix gemalt hat.
Mehrere Diakone der Erzdiözese Wien haben sich daraufhin bemüßigt gefühlt, der Staatsanwaltschaft Wien eine Stellungnahme zu übermitteln.
Was zeigen die inkriminierten Bilder?
Auf einem ist (nebst diversen anderen Darstellungen), unter dem Titel: „Das von Brüssel verordnete KRUZIFIXVERBOT IN DEN KLASSENZIMMERN wird man hierzulande geschickt zu umgehen wissen“, eine Christusfigur (nicht nackt!) zu sehen, auf deren rotem Gewand Hammer und Sichel, sowie ein Hakenkreuz abgebildet sind. Am oberen Ende des vertikalen Holzbalkens ist ein Halbmond, auf einem Ende des horizontalen Balkens eine Buddha-Statue montiert. Überschrieben ist das Bild mit den Worten „Entwurf für ein multikulturelles Kompromiss-Kruzifix“.
Die Kritik der Diakone (laut Online Kurier vom 11. 12. 2009):
„Dadurch, dass das Symbol des Nationalsozialismus kritiklos auf eine Stufe mit den Symbolen von Weltreligionen gestellt wird, erscheint auch die verbrecherische NS-Ideologie gesellschaftlich quasi rehabilitiert, neu anerkannt bzw. verharmlost.“
Entweder, die beiden weltlichen Ideologien sind nicht harmlos, dann muss zugestanden werden, dass auch im Namen der Weltreligionen Verbrechen verübt wurden und werden, oder aber die beiden Ideologien haben dieselbe Exkulpierung ihrer Taten verdient (was meiner Meinung nach natürlich absurd wäre), wie dies die Diakone für die Weltreligionen in Anspruch zu nehmen scheinen.
Was Deix im ersten der beiden kritisierten Cartoons wahrscheinlich zum Ausdruck bringen möchte, ist, dass es noch immer Menschen gibt, die sich einer dieser Religionen oder einer der beiden Ideologien in ungebrochenem Glauben zugehörig fühlen und das, obwohl sie alle zu Verbrechen geführt haben.
Warum sollten also die Kommunisten, Nazis, Buddhisten, Juden (das INRI des Kreuzes könnte von Deix als Symbol für die älteste der drei abrahamitischen Religionen gedacht sein) und Moslems nicht auch „ihr“ Symbol im Klassenzimmer vorfinden dürfen, wo die Christen doch so vehement darauf bestehen, dass das Kreuz dort hängen soll?
Eine prinzipielle moralische Überlegenheit des (katholischen) Christentums und die daraus abzuleitende Bevorzugung von dessen Symbol kann jedenfalls nicht ins Treffen geführt werden. Nationalsozialismus und Kommunismus mögen jeweils mehr Tote auf dem Gewissen haben als die genannten Religionen.
Dass letztere aber gänzlich ohne durch ihre „Wahrheit“ verursachte Morde durch die Geschichte gegangen sein sollen, kann nur ein Unwissender oder Unbelehrbarer behaupten.
Dass Deix sich der „Wiederbetätigung“ schuldig macht, wie die Diakone des weiteren bekunden, ist ein unsinniger Vorwurf; denn unter dieser Annahme dürften auch in einem Film (Kunst!) wie „Der Bockerer“ keine Hakenkreuzfahnen auftauchen, so wie in unzähligen vergleichbaren Kunstprodukten auch.
Auf dem zweiten der beiden Cartoons ist unter anderem ein mit weißem Gewand mit einem großen roten „G“ auf der Rückseite bekleideter Gott zu sehen, der über einem Globus, also der Erde, hockt und auf diese scheißt.
Ein Affront für die Diakone und – aus ihrer Sicht – selbstverständlich wert, auf Behandlung nach § 188 des Strafgesetzes zu pochen, geht es hier doch ganz offensichtlich um die „Herabwürdigung religiöser Lehren“.
Nun kann man die Deix-Karikaturen ob ihres unverblümten Stils mögen oder auch nicht, das, was in diesem Bild zum Ausdruck gebracht wird, ist ein reales Argument, das in der Debatte über die Existenz oder Nicht-Existenz Gottes unter dem Begriff der Theodizee tatsächlich diskutiert wird:
Wie lässt sich das Leid auf der Welt mit der Existenz eines allwissenden, allgütigen und allmächtigen Gottes vereinbaren?
Wäre er allwissend, so wüsste er um eben dieses Leid. Wäre er allgütig, so würde er es zum Verschwinden bringen wollen. Und falls er allmächtig wäre, so würde er das auch tatsächlich tun.
Es gibt Philosophen, die der Meinung sind, dass Gottes Nicht-Eingreifen trotz all des Übels in der Welt dafür spricht, dass er entweder nicht existiert oder, falls doch, zumindest einer (oder aller drei) der ihm zugeschriebenen Eigenschaften entbehrt.
Falls er existiert und allmächtig wäre, sich aber nicht gegen das Leid auf der Welt engagiert, so könnte man dies in die griffige, wenn auch nicht nach jedermanns Geschmack ausfallende Formel fassen:
„Gott scheißt auf die Welt.“
Die philosophische Position, die sich hinter dieser Formel verbirgt, ist – wie schon erwähnt – keine Erfindung von Manfred Deix. Es gibt sie bereits seit Anbeginn der abendländischen Philosophiegeschichte.
Geschmackvoll hin oder her, plakativer, als Deix die Vermutung, Gott würde – im übertragenen Sinn – auf die Welt „scheißen“, in seinem Cartoon in Bildsprache übersetzt, lässt sie sich in seinem künstlerischen Medium wohl nicht zum Ausdruck bringen.