Ecclesia semper reformanda est

Es ist eine echte Revolution:

Kardinal Christoph Schönborn akzeptiert den bekennenden Homosexuellen Florian Stangl als Pfarrgemeinderat von Stützenhofen im Weinviertel.

Am revolutionären Charakter dieser Aktion kann auch die Tatsache nichts ändern, dass der Kardinal vor seiner endgültigen Entscheidung (die er – auch das ist ungewöhnlich! – nach einem persönlichen Gespräch mit Florian Stangl und seinem Lebensgefährten traf) daran gedacht hatte, der bisherigen konservativen Linie treu zu bleiben und den Pfarrgemeinderat abzulehnen.

Selbst als aufgeklärter Atheist möchte man ob solch unerwarteter Liberalität ein begeistertes „Halleluja!“ gen Himmel rufen.

Damit hatte wohl niemand gerechnet, vor allem nicht der Pfarrer von Stützenhofen, der mit der Entscheidung des Kardinals rein gar nichts anzufangen weiß und Schönborn daher nun mit einem aufgezeichneten Telefonat unter Druck setzen möchte.

Wenn selbst ein nicht gerade als liberal verschriener Kardinal es schafft, über seinen eigenen Schatten zu springen, könnte man das doch eigentlich auch von einem Dorfpfarrer erwarten.

Ob die Entscheidung Schönborns bloß ein einmaliges Zugeständnis an die Kirchenbasis von Stützenhofen (der homosexuelle Pfarrgemeinderat bekam eine große Mehrheit der Stimmen der Gemeindemitglieder) war oder doch eine ehrlich gemeinte und somit äußerst mutige Handlung darstellt, wird sich zeigen.

Wenn der Kardinal die Lauterkeit seiner Absichten beweisen will, darf er die Bestimmungen zur Wahl der Pfarrgemeinderäte jetzt keinesfalls überarbeiten, um einen Fall „Stangl“ in Zukunft zu verhindern. Er sollte ihn vielmehr als „Präzedenzfall“ für künftige Entscheidungen heranziehen.

Ob Christoph Schönborn auch im Streit mit den Vertretern der „Pfarrer-Iniative“ wahre Größe zeigt, indem er klein beigibt (so fern das kirchenrechtlich für ihn überhaupt möglich ist), bleibt abzuwarten.

So oder so:

Es gibt noch viele Baustellen in der Katholischen Kirche.

Ecclesia semper reformanda est.

Zweck und Mittel

Es braut sich etwas zusammen.

Die Menschen geben sich nicht mehr damit zufrieden, unzufrieden zu sein.

Viele sind bereit, für Freiheit und Gerechtigkeit auf die Straße zu gehen und sich zumindest zu empören.

Ob der „Wutbürger“ immer den richtigen Ton und vor allem den richtigen Gegner trifft, sei dahin gestellt.

Doch die grundsätzliche Bereitschaft, sich nicht (mehr) alles gefallen zu lassen, sich nicht als kleines Zahnrädchen im großen, undurchschaubaren und nicht beeinflussbaren Getriebe verstecken und instrumentalisieren zu lassen, ist vorhanden und wächst.

Eine der Formulierungen des „kategorischen Imperativs“ von Immanuel Kant (aus der „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“) lautet:

„Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.“

Wir dürfen, nein: müssen in der modernen arbeitsteiligen Gesellschaft einander wechselseitig auch als Mittel verwenden.

Ich brauche den Straßenbahnfahrer, um in die Stadt zu kommen, den Koch in meinem Lieblingsrestaurant, weil er mein Lieblingsessen besser zubereitet als ich, den Arzt, der mich mit Wissen und Erfahrung behandelt, über die ich nicht verfüge.

Doch all diese Dienstleister sind nicht nur das, sind nicht bloß Mittel zu meinen Zwecken, sondern auch Menschen und somit Zwecke an sich selbst, die es zu respektieren gilt.

Das Unbehagen, das sich immer stärker ausbreitet, resultiert aus der Erfahrung, dass es nicht mehr nur die Menschen in den ärmsten Regionen der Welt sind, die ihrem Schicksal ausgeliefert sind.

Auch wir fühlen uns zunehmend im Griff von Politik, Wirtschaft und einer Welt, die immer komplexer, immer unübersichtlicher und in mancher Hinsicht leider auch immer egoistischer wird.

Um nicht unter die Räder dieser Entwicklung zu kommen, bedarf es großer und vor allem permanenter Anstrengungen.

Den Respekt, den wir uns selbst schulden und von den Anderen bekommen wollen, müssen wir auch ihnen täglich aufs Neue erweisen.

Das ist keine naiv-moralische Forderung eines Idealisten.

Es ist die einzig realistische Möglichkeit, wie wir uns retten können – gegenseitig.

Zweck..! Optimismus..!

Es ging uns schon mal besser, so viel steht fest.

Alle reden davon, dass die Krise vor der Tür steht oder schon da ist – und wahrscheinlich ist da auch etwas Wahres dran.

Doch halt:

Leben wir nicht in einem Land, in welchem es den Menschen im Großen und Ganzen gut geht, in dem Frieden herrscht und die Verbrechensrate niedrig ist?

Natürlich wissen wir nicht, was am nächsten Tag auf uns zukommen wird.

Morgen könnte bereits alles anders sein, viel schlimmer, keine Frage.

Aber derzeit haben wir doch alles im Griff, oder etwa nicht?

Ist zu viel Optimismus schädlich?

Vielleicht.

Doch was ist die Alternative?

Vom Jammern wird es auch nicht besser.

Mag sein, dass wir uns in vielen Fällen etwas vormachen.

Doch seien wir ehrlich:

Wir haben keine andere Wahl.

Zweckoptimismus ist in jedem Fall angesagt.

Denn wenn wir zum Scheitern verurteilt sein sollten, wird uns dieses Schicksal noch früh genug und ohne unser Zutun ereilen.

Kranke Ärzte

Der „hippokratische Eid“ geht wahrscheinlich nicht auf den Arzt Hippokrates zurück, der um 460 bis 370 v. Chr. auf der griechischen Insel Kós gelebt, geheilt und gelehrt hat. Die Mediziner von heute schwören nicht mehr auf ihn. 

Das mag nicht zuletzt daran liegen, dass viele der im Original enthaltenen Verbote (etwa jenes der Abtreibung, jenes der Sterbehilfe oder dasjenige, Gallensteine zu operieren – für Operationen war der Chirurg zuständig, der Vertreter eines eigenen Berufsstandes) den Bedürfnissen der modernen Zeit nicht mehr gerecht werden.

Im Kern entsprechen die Ge- und Verbote des „hippokratischen Eides“ aber immer noch der Erwartung, die Menschen zu Recht Ärzten gegenüber haben:

Schmerzen zu lindern und die Ursachen dafür nach Möglichkeit zu beseitigen.

Wenn zutrifft, was Vincent Iacopino, medizinischer Berater der NGO „Ärzte für Menschenrechte“ und der pensionierte General der US-Army, Stephen Xenakis, über das Wirken der Ärzte im US-amerikanischen Gefangenen-Lager Guantanamo heraus gefunden haben wollen, wäre dies die Todsünde wider das ärztliche Ethos schlechthin.

Untersucht wurden jene Mediziner, die permanent vor Ort waren und deren Aufgabe darin bestand, die körperlichen und psychischen Beschwerden der Gefangenen zu diagnostizieren und schriftlich festzuhalten.

Einige (vielleicht alle?) dieser Mediziner dürften bewusst weg gesehen bzw. falsche Angaben bei der Erklärung von Symptomen gemacht haben, die auf Folter zurück zu führen sind.

Zwar stützt sich die Untersuchung bisher nur auf neun Gefangene, die beiden Autoren sehen aber dennoch genügend Beweise für ihre Vermutung erbracht, dass gezielt getäuscht und gelogen wurde.

Schlimmer als die Vertuschungen der Folter ist nur mehr die Tatsache, dass sich andere Mediziner – zumindest indirekt: durch die Beratung der Folterknechte – am gezielten Quälen und Verstümmeln der Inhaftierten beteiligt haben dürften.

Das System „Guantanamo“ per se ist schon ein Verbrechen wider die Menschlichkeit. Es wird von einem mit unbeschränkter Macht ausgestatteten, quasi-diktatorisch agierenden Land ausgeübt, das sich als bedeutendste Demokratie der Welt tarnt.

Dass Ärzte den „hippokratischen Eid“ brechen, ihr Ethos verraten und sich an diesem Verbrechen beteiligen, ist unerträglich.

I did not inhale…

„Ich bin gerne bereit zu prüfen, ob bei über 1200 Fußnoten und 475 Seiten vereinzelt Fußnoten nicht oder nicht korrekt gesetzt sein sollten und würde dies bei einer Neuauflage berücksichtigen.“ (Zitat laut „Spiegel online“).

So lautet der trotzige Kommentar Karl-Theodor zu Guttenbergs, seines Zeichens deutscher Verteidigungsminister, zu dem Vorwurf, in seiner Doktorarbeit streckenweise plagiiert, sprich: aus fremden Texten abgeschrieben und diese nicht als externe Quellen kenntlich gemacht zu haben.

Es ist ein altbekanntes Phänomen, das uns immer wieder begegnet: 

Ein Prominenter wird beim Lügen ertappt (für zu Guttenberg gilt natürlich, wie für alle ähnlichen Fälle, die Unschuldsvermutung!). Anstatt sich aber zu seinem Vergehen zu bekennen und die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen, tritt der böse Junge die Flucht nach vorne an und versucht dabei sogar dreist, sich selbst als guter Junge zu verkaufen.

War da nicht etwas mit Johannes „Gio“ Hahns Dissertation? Wie steht es um Karl-Heinz Grassers vergessene Steuererklärungen? Hat Bill Clinton nur gepafft und nicht inhaliert, wie er später, als er nicht mehr auskommen konnte zugeben zu müssen, einen Joint im Mund gehabt zu haben, beteuerte?

Fehler mögen jedem mal passieren, das kann wohl niemand ausschließen.

Errare humanum est.

Sich einen „Doktorhut“ durch „copy and paste“ zu erschleichen, um damit die Karriere-Chancen zu verbessern, ist aber mit Sicherheit kein Kavaliersdelikt. Das war es noch nie, wird es niemals sein und ist es schon gar nicht zu Zeiten von Hartz IV.

Herr Minister zu Guttenberg, setzen Sie ein Zeichen: 

Geben Sie Ihren „Dr.“ wieder ab und treten Sie zurück..! 

Für Deutschland, für Europa, für eine Welt, die Besseres verdient hat, als Lügner an der Macht.

Public going public

Es wurde aber auch langsam Zeit. 

Wer die Web 2.0-Entwicklung der letzten Jahre verfolgte und sich, aus beruflichen Gründen, nolens volens an der Nutzung diverser Applikationen beteiligte, musste immer wieder schmerzvoll feststellen: 

Hier gehen Redundanz und Trivialität eine perfekte Symbiose ein.

Die mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerks jeden Tag um dieselbe Stunde auf Facebook publizierte „Information“, Person X oder Y wäre gerade „im Büro angekommen“, würde sich mal eben schnell „eine Tasse Kaffee“ holen oder hätte ein „tolles Wochenende“ hinter sich gebracht, konnte in ihrer gähnend langweiligen Unbedeutsamkeit nur noch durch die entsprechende Bebilderung übertroffen werden.

„Nein“, schrie da selbst der von High und Low Society-Shows und Illustrierten schon lange von der Hochkultur weg entführte Mensch innerlich auf, „dieser Schwachsinn interessiert mich nun aber wirklich überhaupt nicht..!“ um gleich darauf seufzend zur Kenntnis nehmen zu müssen: Das hält die Autoren solch niederschmetternd uninteressanter Botschaften keineswegs davon ab, sie weiter in die Welt zu setzen, als wären es Prophezeiungen, von deren allgemeiner Kenntnisnahme das Schicksal der gesamten Menschheit abhinge.

Nun, endlich! ist die Generation Web 2.0 aufgewacht.

Mit WikiLeaks und den kämpferischen Reaktionen ihrer Sympathisanten auf die Versuche der USA, die Enthüllungsplattform mundtot zu machen, zeigt sich die wahre Stärke dieser zugleich beängstigend und betörend anarchistischen Technologie sowie ihrer Anwender und Verteidiger:

Unterdrückung der Wahrheit durch „die da oben“ ist so nicht mehr möglich, wenn „die da unten“ sich das nicht gefallen lassen wollen. Und dass sie es sich nicht gefallen lassen wollen, tritt immer klarer zu Tage.

In einer Zeit, in der die so genannten Eliten aus Politik und Wirtschaft nicht nur klammheimlich hinter, sondern immer öfter und ungeniert auch vor den Kulissen intrigieren und gegen jene, in deren Auftrag und Interesse sie eigentlich tätig sein sollten, sämtliche Register der Macht ziehen, scheint es nicht nur aus demokratiepolitischen Gründen nötig, sondern auch aus moralischen Überlegungen heraus zulässig, diesem Treiben notfalls auch auf illegale Weise Einhalt zu gebieten.

Auf illegale Weise?

Soll das als Aufruf zu Gesetzesbruch und Gewalt zu lesen sein?

Wenn die USA legal (!) gegen ihr ungenehme Personen vorgehen, wie dies die neueste Attacke auf Twitter-User zeigt, stößt die Forderung nach gesetzestreuem Gehorsam gegenüber der Staatsmacht an ihre Grenzen.

Dass die USA gegen das Recht auf Meinungsfreiheit verstoßen, wenn sie WikiLeaks & Co. bedrohen, wird erst noch zu beweisen sein. Im Hintergrund läuft jedenfalls bereits die juristische Maschinerie auf Hochtouren, um der Enthüllungsplattform und ihren Anhängern Taten nachzuweisen, mit denen sie trotz oder gerade durch die Anwendung der Meinungsfreiheit gegen Gesetze verstoßen haben könnten.

Dass es hier aber nicht nur um die Frage der Legalität (oder Illegalität) der Ausübung von Meinungsfreiheit geht, zeigt ein wichtiger Gedanke, zu dem sich Thomas Jefferson, dritter Präsident der USA und wichtigster Autor der „Declaration of Independence“ von 1776 von seinem Ideengeber, dem englischen Philosophen John Locke (1632 bis 1704), hatte inspirieren lassen.

Im zweiten seiner „Two Treatises of Government“ schrieb Locke nämlich, dass schon alleine ein Vertrauensbruch durch die Regierung und nicht erst ein legaler Bruch des „original contract“, also des Vertrages zwischen Volk und Regierung, das Recht auf gewaltsamen Widerstand gebiert.

Weder Locke in seinem „Second Treatise“, noch Jefferson in der „Declaration“ führen näher aus, worin dieser Widerstand im Detail bestehen soll bzw. bestehen darf. 

Die Guerilla-Aktionen, mit denen die WikiLeaks-Fans weltweit für ihr Verständnis von Meinungsfreiheit kämpfen, sind vielleicht illegal. In der Art jedoch, wie sie die technischen Möglichkeiten der Generation Web 2.0 für ihr Ziel einsetzen, könnten sie kaum stimmiger sein:

Die Staatsmacht missbraucht ihren ursprünglichen Auftrag durch das gezielte (und vielleicht sogar als legal darstellbare) Beschneiden der Informations- und Meinungsfreiheit durch die versuchte Beeinträchtigung von deren Trägermedium und seiner Nutzer.

Das Volk begehrt dagegen auf und leistet Widerstand: durch Gegenangriffe mittels eben dieses Mediums, dem wichtigsten Mittel, auf das die Vertreter von Informations- und Meinungsfreiheit heute global zurückgreifen können.

Die Weltöffentlichkeit hat soeben begonnen zu begreifen, dass sie öffentlich werden muss.

Es bleibt finster

Eigentlich hatte ich ja noch vor, mir den Film von P. A. Straubinger, „Am Anfang war das Licht“, anzusehen. Nicht etwa deshalb, weil ich daran glaube, dass Menschen nur von Sonnenlicht leben können. Das halte ich für ausgeschlossen.

Es gibt kein einziges Lebewesen, das sich NUR von Sonnenlicht ernährt. Selbst die zur Photosynthese fähigen Pflanzen brauchen Wasser und entziehen dem Boden mit diesem zugleich auch Nährstoffe. Wer das nicht weiß, sollte nachlesen, wer es nicht glaubt, kann gerne die Probe aufs Exempel machen und eine Pflanze ungedüngt in einem Topf über längere Zeit wachsen lassen:

Irgendwann ist Schluss mit lustig.

(Bevor mich die logisch geschulten unter den Esoterik-Affinen zurück pfeifen, indem sie rufen: „Induktionsproblematik!“, gestehe ich ihnen zu, dass es natürlich nicht ausgeschlossen ist, dass mir morgen jemand begegnet, der sich nur von Licht ernährt. Aber ich muss ergänzen: Die Wahrscheinlichkeit, dass das geschieht, ist – aus meiner Sicht – nicht besonders hoch.)

Zurück zum Film:

Seit gestern Abend weiß ich, dass ich ihn mir nicht mehr anzusehen brauche. Denn im Rahmen der Promotionsfeier einer Freundin habe ich IHN persönlich kennen gelernt:

P. A. Straubinger.

Eines gleich vorweg: Ich halte ihn – nach dem kurzen Gespräch, das wir mit einander geführt haben – für einen durchaus sympathischen, ruhigen, friedfertigen Zeitgenossen, im Unterschied zu einem Freund der Gastgeberin, der ebenfalls mit uns am Tisch saß. Den Namen dieses Freundes habe ich mir leider nicht gemerkt, daher nenne ich ihn an dieser Stelle den „Adepten“, was insofern gerechtfertigt ist, als er an den Lippen seines Meisters, P. A. Straubinger, hing.

Der Adept (er beabsichtigt, einen Film über „Chanelling“ zu drehen – wer mehr darüber wissen will, soll das bitte „googeln“, ich will weder Öl, noch Mühe darauf verschwenden, ins Detail zu gehen) reagierte ziemlich verschnupft auf meine kritischen Fragen und Einwände – und das, obwohl ich geduldig versuchte (was mir im Angesicht von naturwissenschaftlichem Halbwissen und wissenschaftstheoretischer Unbildung nicht immer leicht fällt), das Verbindende zwischen seiner (aus meiner Sicht) mystischen Position und meinem Naturalismus herzustellen.

Er meinte, sinngemäß, wir alle wären doch eigentlich mit einander verbunden, eine Einheit sozusagen, woraufhin er irgend etwas von unsterblicher Seele und Wiedergeburt daher faselte. Ich versuchte, ihm zu erläutern, dass und warum ich die hinter seiner Theorie stehende idealistische Metaphysik für falsch halte, die praktischen Handlungsanweisungen, die er daraus ableitet, sich jedoch mit meinen decken:

Wir sitzen – mit all unseren Bedürfnissen, Schwächen und Ängsten – in einem Boot mit jenen Lebewesen, die ebenfalls leidensfähig und sterblich sind. Wenn wir es also vermeiden können, ihnen weh zu tun, wäre es angebracht, dies auch zu tun.

Aber das lässt sich auch utilitaristisch begründen, ohne eine unsterbliche Seele, Wiedergeburt und einen unsichtbaren Faden postulieren zu müssen, der uns alle durch Raum und Zeit und bis hinein ins – vermeintliche, aber bisher unbewiesene (und unbeweisbare) – Jenseits mit einander verbindet.

Doch auch dieser Versuch einer Einigung auf ethischer Ebene scheiterte – genau so wie die anderen, die dazu gedacht waren, die Inkonsistenzen seiner Aussagen aufzuweisen.

Der Adept wurde ein klein wenig aggressiv, was zuletzt in seiner Aussage gipfelte, er hätte sich offensichtlich ans falsche Ende des Tisches gesetzt.

Nun, so kann man die Suche nach Wahrheit natürlich auch betreiben…

P. A. Straubinger wiederum meinte, nachdem er meine wissenschaftstheoretischen Einwände mit schneller Hand vom Tisch gewischt hatte, ohne mir die Möglichkeit gegeben zu haben, sie vollständig zu entfalten und sich selbst die Chance, sie zu verstehen:

Er würde sich schon seit zehn Jahren mit dem Thema „Lichtnahrung“ befassen und hätte unzählige Anekdoten gesammelt, die als Beleg für seine Überzeugungen dienen.

Mein Einwand, Anekdoten gäbe es viele, aber was mag das schon beweisen? war der letzte den ich vorbringen konnte, bevor die Gastgeberin – etwas unsanft – unseren Diskurs unterbrach und für den Rest des Abends untersagte.

Schade eigentlich.

Denn vielleicht wäre mir gestern ja doch noch ein Licht aufgegangen…

Hokuspokus

Es ist hoch an der Zeit, mit einem zweifachen Missverständnis aufzuräumen, auf dessen Basis Heerscharen von selbst ernannten Heilsbringern ihre dubiosen Dienste anbieten.

Der erste Teil des Missverständnisses lautet:

Die moderne, auf (natur)wissenschaftlicher Methodik aufbauende Medizin würde den Menschen als Individuum missachten und ihn bloß unter dem Blickwinkel der Statistik behandeln, während die verschiedenen „alternativen“ Heilverfahren (Homöopathie, TCM usw.) diesem Fehler nicht erliegen würden.

Letztere nämlich, so das Credo ihrer Anhänger, würden jeden Menschen in seiner Einzigartigkeit wahrnehmen und respektieren, auf seine Individualität gezielt eingehen und daher den direkteren Weg zum Patienten und seiner Heilung beschreiten.

Der zweite Teil des Missverständnisses lautet:

Die auf Naturwissenschaft beruhende Schulmedizin würde bloß „Symptome“ behandeln, die Alternativmedizin hingegen die „Ursachen“ bekämpfen und das Übel der Krankheit somit an der Wurzel packen.

Worin liegen nun aber die Missverständnisse?

Was die Kritik an der „Verallgemeinerung“ in Gestalt von Statistik betrifft, so lässt sich das leicht zeigen:

Jede Technologie, egal, ob es sich dabei um ein medizinisches oder anderweitiges Verfahren oder aber bloß um Zubehör zu einem solchen handelt, wurde kraft systematischer (wissenschaftlicher) Forschung entwickelt und auf ihre Tauglichkeit hin getestet.

Genau genommen ist auch gar keine andere Vorgangsweise möglich.

Das trifft natürlich auch auf das Finden des bestmöglichen Behältnisses zur Aufbewahrung von (z.B. homöopathischen) Arzneimitteln zu (etwa Glasfläschchen). Über Jahrzehnte, genauer: Jahrhunderte hat sich durch eine schier unendlich große Zahl an Versuchen mit verschiedenen Materialien eine – bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt – als am besten geeignete Art von Arzneimittelfläschchen entwickelt.

Natürlich könnte diese Art von Behältnis schon morgen durch eine neue ersetzt werden. Aber zum Nachweis, dass eine neue Zusammensetzung der Glasfläschchen sich für eine Konservierung der in ihr aufbewahrten „Medizin“ besser eignet als die bisherige, greift die „Glasfläschchen-Forschung“ (und kein Homöopath der Welt würde hier – schon aus Eigeninteresse! – einen Einspruch gegen ihre (natur)wissenschaftliche Methode erheben!) auf – richtig geraten! – Statistik zurück.

Es wäre absurd, sich dabei nur auf wenige oder etwa gar nur auf eine einzige, „individuelle“ und somit zufälligen Schwankungen unterliegende Fläschchen-Alternative zurück zu ziehen, die keiner systematischen Prüfung unter standardisierten Bedingungen und unzählige Male wiederholten Materialtests unterzogen wurde.

Behauptet die Homöopathie allen Ernstes, die Testverfahren ihrer Arzneimittel würden nicht nach statistischer Methodik durchgeführt?

Das kann und will ich nicht glauben (und meines Wissens nach ist das auch nicht der Fall).

Wenn das allopathische (so die Bezeichnung jener Stoffe, die chemisch nachweisbare Bestandteile einer Wirksubstanz beinhalten) Mittel nur bei einem bestimmten Menschen spezielle Symptome hervorruft, warum sollte sein homöopathisches Pendant dann zur Behandlung anderer Menschen heran gezogen werden, die diese Symptome aufweisen?

Was wäre, wenn nur wenige Menschen oder vielleicht nur ein einziger die bei diesen so genannten Arzneimittelprüfungen eintretenden Symptome aufweist, die Mehrzahl der anderen oder sogar alle anderen jedoch vollkommen andere Symptome, im Extremfall jeder der Probanden seine ganz eigenen?

Was passiert dann mit diesem „geprüften“ Mittel? Wird es verwendet und wenn ja, bei welchen Symptomen kranker Menschen?

Denn nun gäbe es – wenn die Statistik irrelevant ist und nicht auf sie und ihre Erkenntnisse zurück gegriffen werden darf – unendlich viele verschiedene Substanzen, die alle an jedem Patienten im Krankheitsfall erneut ausprobiert werden müssten.

Individualität des Patienten kann aber nicht bedeuten, dass bei ihm die Medizingeschichte wieder zu ihren Anfängen zurückkehrt und alle Verfahren und Arzneien der Menschheitsgeschichte in chronologischer Reihe ihres Auftauchens an ihm ausprobiert.

Denn das wäre eine unendliche Behandlungsgeschichte.

Die Realität sieht anders aus:

Jede Form von seriöser medizinischer Behandlung greift auf die Erfahrung unzähliger Fälle – also auf Statistik – zurück. In dem Maße, wie sie das tut, „verallgemeinert“ sie jeden noch so individuellen Fall, also den einzelnen Menschen, weil sie ihn nur durch Vergleichen mit einer Vielzahl ähnlicher Fälle behandeln kann. Denn bei diesen haben bei ähnlicher Symptomatik dieselben Medikamente ähnlich gute Wirkungen erzielt.

Wer das leugnet, muss, um sich selbst nicht zu widersprechen, ab sofort auf jede Technologie verzichten, die auf Basis naturwissenschaftlicher (und somit auch statistischer) Verfahren gewonnen und als funktionierend erkannt wurde – das Leben schützende Impfungen inklusive.

(Tatsächlich, und das sollte uns Angst machen, sind viele Anhänger alternativer Verfahren bereit, ihre Kinder gesundheitlichen Risiken auszusetzen, indem sie sich gegen Impfungen stellen – absurder Weise übrigens nicht selten auf Basis angeblicher Statistiken, die ihnen Recht geben würden…)

Kommen wir zum zweiten Missverständnis, nämlich jenem, das behauptet, „Schulmedizin“ würde nur „Symptome“ von Krankheiten, Alternativmedizin aber die „Ursachen“ dieser Krankheiten selbst behandeln.

Im Fall der Homöopathen trifft genau das, was sie gegen die Schulmedizin vorbringen, auf ihre eigene Lehre zu:

Tatsächlich orientieren sie sich nämlich ausschließlich an den Symptomen, fragen gar nicht nach den „darunter“ liegenden Ursachen, geben ihre Substanzen schlicht bei Vorliegen von „äußeren Erscheinungen“, gemäß der Annahme, die gleiche (similia similibus curentur) Substanz, die in normaler (nicht-homöopathischer) Dosierung diese Symptome auslöst, würde bei bereits Vorhandensein dieser Symptome bei Gabe in homöopathischer Dosierung die Auflösung der Ursachen bewirken.

Welche absurden Kausalannahmen (jenseits der unsinnigen Unterstellung, eine Substanz würde in unterschiedlicher Dosierung gegenteilige Effekte zeitigen – das wäre so, als würde man behaupten, ein Schlag auf den Kopf mit einem großen Hammer würde Schmerzen verursachen, ein Schlag mit einem kleinen Hammer hingegen bereits vorhandene Schmerzen lindern) liegen hier zu Grunde?

Kein Mediziner kann die letzte Ursache einer Erkrankung und somit bestimmter Symptome angeben, das trifft übrigens auf die Naturwissenschaft insgesamt zu. Aber er kann – und hier greift wieder die Statistik ein – in der (angenommenen) Kausalkette so weit wie möglich nach hinten schreiten und Vergleiche anstellen.

Jede Differenzialdiagnose in der Schulmedizin baut auf diesem (einzig sinnvollen) Verfahren auf: Hat der Patient, der wegen chronischer Schmerzen zum Arzt kommt, auch noch einen hohen Blutdruck? Nimmt er Medikamente? Hat er eine Entzündung? Und so weiter…

All diese Phänomene könnten – auf Statistik beruhend – die wahrscheinlichsten aller möglichen „Ursachen“ für seine Schmerzen sein.

Warum jemand aber beispielsweise hohen Blutdruck hat, kann verschiedene Ursachen haben. Aber was bedeutet „Ursache“ in diesem und in jedem anderen Zusammenhang in der Medizin?

Das gleichzeitige Auftreten von zwei Zuständen, wo bei gehäufter Kombination (und dem Verschwinden der „Wirkung“ bei Beseitigung der vermuteten „Ursache“) angenommen werden darf, dass es sich hier um eine Kausalbeziehung handelt.

Wann gilt eine „Ursache“ als beseitigt? Wenn ihre Wirkungen, also die Symptome verschwunden sind.

Mag sein, dass irgendwann neue Symptome auftreten, die als „krankhaft“ (weil mit Schmerzen oder Beeinträchtigung des Betroffenen einhergehend) angesehen werden.

Dann fängt das Spiel von vorne an.

Aber es basiert wieder auf systematischer, sich der Statistik bedienender, methodischer Forschung.

Zu behaupten, die alternativen Heilverfahren würden sich einer der Naturwissenschaft (in ihrer systematischen Verblendung) verborgenen Form der Erkenntnis bedienen, ist Schwachsinn.

Es ist die systematisch forschende (Natur-)Wissenschaft, die den Menschen nicht nur die Augen öffnet, sondern ihre Sehschärfe mit Mikroskopen, Teleskopen und angewandter Logik verbessert.

Die Alternativmedizin verheimlicht ihren naiven Anhängern (aus Geschäftssinn oder Ignoranz?) nicht nur, dass sie ihnen die Mikroskope, Teleskope und die Logik wieder wegnehmen möchte.

Sie verbindet ihnen zusätzlich auch noch die Augen.

It was the oil, stupid..!

Es klingt zynisch, aber mit der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko tut sich ein so genanntes „window of opportunity“ auf.

Die verheerenden Folgen können jetzt noch gar nicht genau beziffert werden. Aber dass sich aus dem Schaden auch die Möglichkeit ergibt, der internationalen Erdöllobby das Wasser, besser gesagt: das Öl abzugraben, sollte nicht übersehen werden.

Gegen den Umstieg auf alternative Energiegewinnung wettern die Öligarchen (sic), dieser wäre zu teuer. Und das mag sogar, unter einer bestimmten Perspektive betrachtet, richtig sein.

Aber diese „bestimmte Perspektive“ implizierte bisher, dass die Rohölgewinnung – relativ – umweltfreundlich und weit entfernt von der kritischen Wahrnehmung der breiten Öffentlichkeit vonstatten ging.

Mit der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko hat sich dies aber nun geändert. Die böse Seite der Ausbeutung der Natur hält den Menschen plötzlich ihre grinsende Fratze entgegen und ruft ihnen ihr „memento mori!“ zu: Wenn ihr so weiter macht, wird es bald vorbei sein – mit der Natur, mit euch, mit allem!

Grünparteien, Ökobewegungen und Alternativenergiedenker aller Herren Länder vereinigt euch!

So günstig wie jetzt war es noch nie, mit der Unterstützung der Weltbevölkerung einen globalen Umdenkprozess und Wandel in der Energiepolitik in Gang zu bringen. Damit wir schon morgen sagen können:

It was the oil, stupid..!

Freie Sicht aufs Gesicht?

Nun gibt es also mit Belgien das erste Land in der EU, in dem ein „Burkaverbot“ erlassen wurde.

Stellt sich zunächst einmal Frage, warum es nur die Burka und der Niqab, eine Verschleierung, bei der (im Unterschied zur Burka, in die eine Art Sichtgitter integriert ist) die Augen unbedeckt bleiben, sind, nicht aber auch das Kopftuch, die dem freien Blick der freien Welt weichen sollen.

Ist das Kopftuch nicht ebenso frauenfeindlich, wird es doch aus denselben Gründen von muslimischen Frauen getragen wie Burka und Niqab?

Könnte es sein, dass mit einer Ausweitung des Verhüllungsverbotes nicht nur christliche Ordensschwestern, sondern auch Bäuerinnen und diverse Freizeit-Kopftuchträgerinnen betroffen sein würden, von denen wir annehmen, dass niemand sie zwingt, ihr Haupt zu verhüllen?

Aber ist das tatsächlich so?

Zwingt nicht zumindest im Fall der Ordensschwester die Regel ihrer religiösen Gemeinschaft ihr die Kleidung auf, in welche sie sich hüllt – Kopftuch inklusive?

Bei den Bäuerinnen ist das schon etwas unwahrscheinlicher, aber auch hier mag es solche geben, die sich einer Tradition verpflichtet fühlen und deshalb Kopftuch tragen.

Die Crux an der Debatte ums „Burkaverbot“ besteht doch darin:

Wer mag entscheiden, in welchem Fall eine Verschleierung von Männern im Umfeld der betroffenen Frau erzwungen und wo sie freiwillig aus religiöser Tradition vorgenommen wird?

Dürfen die freiwilligen unter den Burka- und Niqabträgerinnen gegen ihren Willen gezwungen werden, ihre Freiheit zu opfern, weil andere vielleicht zur Verschleierung gezwungen werden?

Der säkulare Staat, dessen Werte die Befürworter des „Burkaverbotes“ durch ihre Maßnahme zu schützen versuchen, muss, seinem Selbstverständnis entsprechend, ertragen, dass Frauen sich freiwillig „erniedrigen“, wenn sie dies aus religiösen Gründen wollen.

Denn wenn er ihnen dies per Gesetz untersagt, widerspricht er seinem eigenen Anspruch und Selbstverständnis. Dann verzichtet er nämlich auf die Äquidistanz zu allen Weltanschauungen und erhebt die eigene, säkulare Überzeugung zur Religion.